Tragische Verwechslung

■ betr.: „Wir müssen nicht überle ben um jeden Preis“, taz vom 29.11.93

Warum muß nun auch Euch diese tragische Verwechslung zwischen Theologieprofessor und Ethikexperten unterlaufen? Immer, wenn es hierzulande um ethisch relevante Themen geht, werden wie selbstverständlich irgendwelche Lobbyisten des kollektiven Schwachsinns Religion, Prälaten oder Theologen, vor die Mikrofone oder auf Talk-Show- Sofas gezerrt. Dabei gibt es doch – inzwischen sogar hierzulande – genügend ernst zu nehmende VertreterInnen nichtreligiöser Moralphilosophie, die sicher auch gern Auskunft gäben. Denen würde aber wahrscheinlich einiges von dem hanebüchenen Quatsch, den der Herr Grewel zum Thema Transplantationsmedizin zum besten gibt, und der Euch ja ganz gut in den Kram zu passen scheint, nicht so leicht von der Zunge gehen: „Die Synode der EKD hat soeben (...) daran erinnert, daß unser Leben auch Leiden und Sterben umfaßt, das heißt, daß wir nicht überleben müssen um jeden Preis.“

Heißt das das? Nein, das heißt das nicht, und das folgt auch nicht daraus. Hätte die Synode der EKD gesagt, daß unser Leben auch Leiden und Sterben umfassen solle, dann würde daraus folgen, daß wir nicht überleben sollen; oder auch, daß die EKD samt ihrer Synode sie nicht mehr alle hat. Ich für meinen Teil jedenfalls halte jeden mindestens für bescheuert, der allen Ernstes behaupten will, es sei geboten, daß ich leide und sterbe. Aber das, woran EKD uns soeben erinnert hat, war ja bloß die bedauerliche Binsenwahrheit, daß es so ist, wie es ist. Die ist übrigens auch der Grund dafür, daß es die Medizin mitsamt der Transplantationsmedizin überhaupt gibt. Wäre der unterstellte Sollsatz wahr, so würde er nicht nur letztere, sondern die Medizin überhaupt verbieten.

„Die Übertragung lebender Organe von einem Menschen auf einen anderen ist etwas anderes als der Austausch von Ersatzteilen in einer Autowerkstatt. Das betrifft sowohl die Spender als auch die Empfänger.“ Ja, wenn der Spender kein Auto ist, dann darf auch der Empfänger keins sein. Aber was soll's? Die Frage ist doch, ob's funktioniert. Daß die Sache kompliziert ist, steht doch auf einem ganz anderen Blatt. Und ob sie zu kompliziert ist, dazu würde ich auch keinen Theologen befragen.

„Aber diese Menschen (mit erloschener Hirntätigkeit) können ihr Sterben nicht vollenden, weil durch die künstliche Beatmung das Herz-Kreislauf-System lebendig erhalten wird.“ Nein, nicht deshalb, sondern weil jemand ohne Gehirntätigkeit überhaupt nichts tun kann, und daher auch nichts vollenden. Ohne die Tätigkeit seines Gehirns gibt es diesen jemand nicht. Natürlich glaubt der Christ das nicht und statt dessen eine Menge anderes. Aber warum soll uns das kümmern? Kümmert uns die Meinung irgendeiner Synode zum Thema Empfängnisverhütung? Würden wir dabei allen Ernstes einen Kirchenvertreter als Experten um seine Meinung fragen? Nichts gegen ein vernünftiges Abwägen des moralischen Für und Wider der Transplantationsmedizin, aber warum soll bei dieser Abwägung der Standpunkt einer, wenn auch noch so großen, Sekte einbezogen werden? Wenn ich eine Bluttransfusion brauche, dann erkundige ich mich jedenfalls nicht erst bei einem Zeugen Jehovas, ob ich das auch darf. Harald Stücker, Berlin