„Die Menschen hier wollen Zeichen sehen“

■ Im Gaza-Streifen ist von einem bevorstehenden Frieden wenig zu spüren

Gaza (taz) – Auf der Sandpiste in der Kleinstadt Khan Junis im südlichen Gaza-Streifen steht ein kleiner Junge. Mit seinem Finger symbolisiert er eine gegen seinen Bauch gerichtete Pistole. Mit der anderen Hand deutet er auf ein großes, graues, unverputztes Haus. In dem Haus, das von israelischem Militär umstellt ist, auf dessen Dach und in dessen Etagen nichts als Soldaten zu sehen sind, liegt ein verletzter Palästinenser. Der Junge ist zu jung, um schon die Buchstaben auf dem weißen Golf lesen zu können, und zu jung, um zu wissen, daß UN die Abkürzung für United Nations bedeutet. Aber er weiß, daß die weißen Autos mit den blauen Lettern und der blauen Fahne die einzigen sind, die hier noch irgendeine Hilfe versprechen. Das UN-Auto und ein Fahrzeug des Roten Kreuzes wollen den Verletzten bergen, werden aber von dem Militär nicht herangelassen. „Manchmal“, so Ron Wilkinson, Sprecher des UNO- Flüchtlingswerkes UNRWA, „werden verletzte Palästinenser von Soldaten sogar wieder aus den Krankenwagen herausgehohlt“.

Anfang der Woche war über die Megaphone der Moscheen in Gaza zum Generalstreik ausgerufen worden, nachdem zwei „Aktivisten“ der Fatah-Falken – des bewaffneten Arms der von PLO- Chef Arafat geführten Fatah in den besetzten Gebieten – von israelischen Geheimkommandos erschossen worden waren. Einer von ihnen, Ahmad Abu Rish, hatte zwei Wochen zuvor israelischen Militärs seine Waffen übergeben und war daraufhin amnestiert worden. Seinen Tod nennen die israelischen Behörden ein „Versehen“.

Der 13. Dezember, der Tag, an dem der israelische Truppenrückzug aus Jericho und dem Gaza-Streifen beginnen soll, rückt näher – und noch hat sich nichts getan. „Die Menschen hier wollen Zeichen sehen“, sagt Salah Abdel- Schafi, Chef der „Economic Development Group“ (EDG). „Die Israelis müßten nur die Ausgangssperre ein wenig lockern (seit fünf Jahren ist in Gaza ab acht Uhr abends Ausgangssperre), die seit Jahren gesperrten Straßen öffnen, die Bewegungsfreiheit erleichtern.“ Statt dessen haben die Israelis ihre Militärstärke in Gaza erst einmal mit Geheimkommandos verstärkt, um vor einem Rückzug, so er den kommen wird, möglichst viele „Palästinenser zu entwaffnen“. Dabei wurden in den letzten Wochen zwei Führer der islamistischen Hamas und zwei Fatah-Falken erschossen. Auch haben israelischen Soldaten noch nach dem 13. September neue Militärlager gebaut. Die Stimmung im Gaza-Streifen ist aufs äußerste gespannt. Es kursieren Flugblätter der Fatah-Falken: „Wir werden unsere Rebellion gegen die Regierung der Hunde forsetzen. Wir werden unsere Angriffe gegen die Zionisten überall steigern.“

„Ich glaube“, sagt Salah Abdel- Schafi, „daß am Ende die Palästinenser in den Verhandlungen nachgeben, auch wenn sie es dann anders nennen werden.“ Arafat sei geschwächt. „Zwar brüllt er noch, aber er hat keine Kraft mehr.“ Er werde von allen Seiten unter Druck gesetzt und attackiert. Heutzutage sehe es so aus, als habe er seine eigenen Leute, wie die Falken, nicht mehr unter Kontrolle. „Aber das ist die Schuld von Rabin.“ Der Ökonom, der in Ostberlin studiert hat und aus einer der berühmtesten Familien in Gaza kommt – sein Vater, Haider Adbel-Schafi, war bis zu seinem Rückzug aus den Verhandlungen am 13. September der führende palästinensische Unterhändler in Madrid und Washington –, ist der Ansicht, daß Arafat auf Dauer nur Erfolg haben kann, wenn es der PLO gelingt, den Lebensstandard der Menschen in Gaza anzuheben, „zumindest auf das Niveau vor Beginn der Intifada“. Julia Albrecht