■ Pablo Escobar, von Beruf Drogenboß, wurde erschossen. Das Drogenkartell aber bleibt bestehen
: Er starb wie ein kleiner Pistolero

Er starb wie ein kleiner Pistolero

Es kam, wie es kommen mußte: Nachdem er sich selber in eine auswegslose Lage manövriert hatte, wurde Pablo Escobar zusammen mit einem Begleiter am Donnerstag in Medellin von der kolumbianischen Polizei – angeblich während eines Schußwechsels – erschossen. Auf die Schliche gekommen war die Polizei Escobar laut der offiziellen Version durch das Abhören zweier Telefonate, die der Drogenboß mit seiner Familie und einem Radiosender geführt hatte. Wenn es so gewesen ist, hätte der seit Juli 1992 flüchtige Escobar mit diesen Gesprächen einen merkwürdig dilettantischen Fehler begangen.

Kriminalität war sein Metier. 1949 geboren, begann Escobar Anfang der siebziger Jahre eine kriminelle Karriere, die ihresgleichen sucht. 1976 wurde er verhaftet. Zusammen mit seinem Cousin Gustavo Gaviria hatte er 39 Kilo Kokain von Ecuador nach Kolumbien geschmuggelt. Als er freikam, ließ er ein Jahr danach die beiden verantwortlichen Beamten der Geheimpolizei DAS ermorden.

Es waren die Pionierzeiten des internationalen Kokainhandels. Kolumbianische Schmuggler, Kleinkriminelle und Unternehmer begannen den unersättlichen Kokainkonsum vor allem der USA zu stillen. Den Behörden immer einen Schritt voraus, strickten sie ein Netz von Geschäftskontakten, um in Peru und Bolivien das Vorprodukt Cocapaste aufzukaufen, es zu Kokain weiterzuverarbeiten und dann auf dem Großhandelsmarkt in den USA mit horrenden Gewinnraten zu verkaufen. Es entstand die erste, wenn auch illegale „Multinationale“ der „Dritten Welt“. Und Escobar war an vorderster Front dabei.

Nur folgerichtig, daß die wachsende wirtschaftliche Macht der Drogenhändler sich auch in politischer Macht auszudrücken suchte. 1982 wurde Pablo Escobar zum stellvertretenden Parlamentsabgeordneten der liberalen Partei gewählt. Das Land wunderte sich über die mágicos, die „Magier“, die von einem Tag auf den anderen ungeheuren Reichtum zur Schau stellten, und diesem Kapital auch noch eine „soziale Funktion“ – wie Escobar sich ausdrückte – zukommen ließen. Zwecks Unterstützung innerhalb der Bevölkerung ließ Escobar etwa ein ganzes Stadtviertel in den Elendsvierteln Medellins bauen und ließ sich von der Wochenzeitschrift Semana als „kolumbianischer Robin Hood“ feiern. Doch nicht alle hatten seine kriminelle Vergangenheit vergessen: 1983 vermasselte die Tageszeitung El Espectador Escobars politische Karriere, indem sie die Verhaftung von 1976 wieder aufrollte. Escobar sollte es den Journalisten nie verzeihen: 1986 wurde der Chefredakteur Guillermo Cano ermordet, 1989 das gesamte Zeitungsgebäude mit einer Bombe in die Luft gesprengt.

In der Öffentlichkeit stigmatisiert und von den kolumbianischen und nordamerikanischen Strafverfolgungsbehörden immer stärker bedrängt, begannen sich die Drogenhändler brutal zu Wehr zu setzen. Neben unzähligen Polizisten, Richtern und Politikern ließen sie 1984 den Justizminister Rodrigo Lara Bonilla erschießen sowie 1988 den Generalstaatsanwalt Carlos Mauro Hoyos. In ihrer Eigenschaft als neue Großgrundbesitzer machten einige Drogenhändler mit Teilen der Streitkräfte und der gesellschaftlichen Elite gemeinsame Sache in der Bekämpfung der Guerillabewegungen und ihrer sozialen Basis: Allein von der kommunistischen Unión Patriótica wurden über 2.000 Parteigänger ermordet. Ob der gewalttätigen Strategie spaltete sich das kriminelle Milieu: Während eine Gruppe von Drogenhändlern aus Cali zur Konfrontation mit dem Staat auf Abstand gingen, etablierte sich Pablo Escobar zusammen mit Gonzalo Rodriguez Gacha und den Gebrüdern Ochoa als Boß des sogenannten „Medellin- Kartells“. Vermutlich unter seiner Führung wurde eine terroristische Gruppe mit einem einzigen Programmpunkt – dem Stopp der Auslieferungen an die USA – geschaffen. Die sogenannten extraditables lieferten in den Briefköpfen ihrer Kommuniqués ihr Motto gleich mit: „Lieber ein Grab in Kolumbien als eine Gefängniszelle in den USA“.

Endgültig eskalierte der Konflikt 1989 mit der Ermordung Luis Carlos Galáns, dem aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten der liberalen Partei und althergebrachtem Gegner der Drogenhändler. Mit Schützenhilfe der USA – deren Reagan- und Bush- Regierungen den Kampf gegen die Drogen als ideales Wahlkampfthema entdeckt hatten – blies die kolumbianische Regierung nach der Ermordung Galáns zum Generalangriff auf die Drogenhändler Medellins. Es folgte ein brutaler gegenseitiger Schlagabtausch: Die „Auslieferbaren“ sprengten ein Verkehrsflugzeug und den Sitz der Geheimpolizei DAS in die Luft, ließen allein in Medellin über 400 Polizisten ermorden und streuten im ganzen Land – oft wahllos – ihre Autobomben. Die kolumbianischen Behörden indes lieferten mehrere Drogenhändler an die USA aus und erschossen den „Mexikaner“ Gonzalo Rodríguez Gacha, den neben Escobar wohl mächtigsten und gewalttätigsten Kokainboß des Medellin-Kartells.

Als Präsident César Gaviria 1990 an die Macht kam, zog er eine ernüchternde Bilanz: Zwar hatte der kolumbianische Staat das Medellin-Kartell – zugunsten der Rivalen in Cali – bedeutend schwächen können, gleichzeitig aber war die weiterhin zu einer immensen Destabilisierung fähige Gruppe um Pablo Escobar immer noch auf freiem Fuß. Die Lösung des militärischen Patts: Den Drogenhändlern wurde ein – später in der neuen Verfassung festgelegtes – Verbot jeglicher Auslieferungen an die US-Justiz versprochen, sollten sie sich freiwillig der kolumbianischen Justiz stellen. Pablo Escobar willigte nach langwierigen Verhandlungen ein und bezog im Juni 1991 „La Catedral“, einen von ihm selbst in seiner Hochburg Envigado errichteten angeblichen Hochsicherheitstrakt. Der Drogenkrieg schien beigelegt.

Ein Jahr nach seiner Kapitulation aber beging Pablo Escobar den laut seinem Erzrivalen Geheimdienst-General Maza „größten Fehler seines Lebens“: Erbost über ungenügende Zahlungen an ihn, der doch für die anderen ins Gefängnis gegangen war, bestellte er die Anführer der Moncada- und Galeano-Drogenhandels-Gruppen zu sich und ließ sie nach einem heftigen Wortwechsel – innerhalb des Gefängnisses – kurzerhand erschießen. Daraufhin versuchte die Regierung, einen drohenden internationalen Skandal befürchtend, in einer dilettantisch geplanten Nacht-und-Nebel-Aktion Escobar in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Escobar leistete Widerstand und flüchtete am 22. Juli 1992 aus seinem Luxusgefängnis.

Pablo Escobar hatte ausgespielt. 16 Monate lang wurde er seitdem zu Tode gehetzt: Von einem eigens für diese Fahndung eingerichteten, 2.500 Mann starkem „Suchblock“ der Polizei und des Militärs, von den nordamerikanischen DEA und CIA, von den Überlebenden der Moncada- und Galeano-Clans, von seinen Rivalen aus Cali. Einer nach dem anderen wurden rund 80 seiner Vertrauten ermordet: Leibwächter, Rechtsanwälte, sogar Verwandte. Pablo Escobar versuchte, sich noch einmal mit Attentaten zur Wehr zu setzen, schien sich auf Verhandlungen einlassen zu wollen, versuchte seine Familie nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Zu spät: Niemand war an seinem Überleben interessiert. Bis auf einen Begleiter war er alleine, als er auf dem Dach eines Wohnhauses starb.