„Keiner weiß, wer wir sind“

■ Werkeln in der verlassenen Weidedamm-Gärtnerei - ein Stimmungsbericht

Die Wicken hängen erforen in ihren Halteschnüren, die Heizungsrohre unter den Tischbeeten sind eiskalt. Am Montag haben die BesitzerInnen die Gärtnerei endgültig verlassen. Seit vor Jahren der Weidedamm zum Bauerwartungsland erklärt wurde, haben sie immer weitere Teile der Gärtnerei aufgegeben. Im Glashaus nebenan hat sich bereits der Giersch über die Beete hergemacht. Über all dies schaut der Mann mit dem angegrauten Bart hinweg. Er schaut in die Weite - von einem Gewächshaus zum nächsten, zu noch einem und noch einem. „Was man in so Hallen alles machen könnte“, sagt er endlich, „hier Konzerte, da ein Cafe“. Er schubst eine Tonscherbe weg - „manche Stadt wäre froh, wenn sie sowas hätte“

Seit Montag ist die Welt für die BewohnerInnen des Kleingartengebiets größer, aber auch grausamer. Jetzt streunen sie über das Gärtnereigelände und fallen von einem Staunen ins Nächste: Außer den Glashäusern gibt es zum Beispiel ein Ofenhaus und ein Haus mit Werkbänken, dazu drei Wohnhäuser. Eines wird die „Villa“ genannt. Hier wohnte zuletzt der Senior der Firma: Eine schwere Vase auf der Terassenstufe und ein großes Kaminzimmer zeugen noch vom Wohlstand. Seit Dienstag aber schwimmen die Parketthölzchen in ätzender Heizungsrohrflüssigkeit, im Teppichflor stecken tausende von Glassplittern: Die Wohnungen waren noch nicht ausgekühlt, da rückten schon Arbeiter im Auftrag der neuen Besitzer, der Baufirmen, an, um die drei Wohnhäuser unbewohnbar zu machen.

Unbewohnbar? Darüber können die rund fünfzig Weidedamm-ParzellistInnen, die seit Freitag in den Häusern werkeln, nur lachen. Ein Haus ohne Klo und fließend Wasser ist für sie noch lange nicht unbewohnbar - muß man eben von den umliegenden Kaisenhäusern Wasser holen, dort gibt es auch Grubenklos. Dächer und Fensterscheiben aber sind notwendig. Hier rührt also einer Schindelzement an, dort pulen zwei Frauen den alten Fensterkitt aus den Fugen, rollen neuen Kitt zu Würstchen. Oberkommandierende gibt es nicht, ein Chaos bricht dennoch nicht aus. Chaotisch sei höchstens, daß zunächst der Ostgiebel gedeckt worden sei - wo doch das Wetter von Westen kommt.

„Besetzer“ nennen sich die InstandsetzerInnen nicht - schließlich schaffe man keinen gesetzesfreien Raum. Im Gegenteil: Mit Autos angereiste Plünderer, die Armaturen oder Wandschränke ausbauen wollten, mußten wieder abziehen. Nein, man besetzt nicht, man beschützt: Gewohnt, jede Holzlatte und jedes Glas wiederzuverwenden, können die Leute vom Weidedamm nicht mitansehen, daß Wohnungen kaputtgeschlagen werden.

Pläne haben sie nicht - dazu ist die Situation zu ungewiß. Träume aber sehr wohl: Im Kontorgebäude mit den Werkbänken könnte man Werkstätten einrichten. Viele der ParzellistInnen sind HandwerkerInnen. Dort in die Villa könnten Obdachlose einziehen oder eine Kirchengemeinde, vielleicht ein Kindergarten? „Die alten Besitzer sind raus, die neuen noch nicht da - dazwischen kann man was machen“, lautet das Credo.

Bislang haben nur die Grünen Findorffs offiziell reagiert auf die „Beschützung“: Sie unterstützen „den mutigen Einsatz der Initiative ,Grüner Weidedamm'“ und wollen vom Beirat Findorff jede Bau- und Abrißtätigkeit der Baufirmen verbieten lassen, solange nicht die Bürgerschaft einen endgültigen Bebauungsplan verabschiedet hat.

Die Polizei hält sich zurück, fährt nur außen um das Gelände herum, von den Baufirmen hat sich noch niemand sehen lassen. „Die Blätter sind gemischt, liegen aber noch nicht auf dem Tisch - jede Seite spekuliert im Moment noch über die andere“, sagt ein Initiativler. Die Baufirmen und der Innensenator zum Beispiel wüßten überhaupt nicht, wer hier eigentlich wohne und vor allem, wer in der Not zum Schutz heranreisen würde. „Die haben Schiß, daß dann alle Autonomen Norddeutschlands kommen“, grinst er.

Christine Holch