Geburtstag ohne Feier: Vor vier Jahren wurde Berlins Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen gegründet. In der Szene genießen die „Homo“-Beamten Vertrauen, mit poli- tischen Erfolgen können sie nicht glänzen. Von Micha Schulze

Der rosa-lila Amtsschimmel

Nein, „Homo-Beamte“ wollen sie nicht genannt werden. Claus Nachtwey schüttelt energisch den Kopf. Schließlich seien sie, die MitarbeiterInnen des Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, offiziell Angestellte. Leider, wie Nachtwey bedauert. Doch in der Szene hat sich die griffige Bezeichnung „Homo-Beamte“ im Laufe von vier Jahren durchgesetzt.

Vier Jahre schon? Tatsächlich. Still und leise verstrich der Geburtstag von Deutschlands erster Behörde für homosexuelle Belange. Kurz nach Maueröffnung, am 16. November 1989, trat der Jurist und frühere AL-Abgeordnete Stefan Reiß seinen BAT- 2a-Job in der Senatsfamilienverwaltung an. Am 1. Dezember folgte ihm die Historikern Ilse Kokula, und Lela Lähnemann und Claus Nachtwey stießen 1990 dazu. Ihre Stellen sind auf rot-grünem Mist gewachsen – die AL hatte das Referat der SPD in den Koalitionsverhandlungen abgerungen. Später, als sich die schwarz-rote Liaison anbahnte, legten sich die Sozialdemokraten für die „Homo-Beamten“ ins Zeug. So konnten Reiß & Co. die AL-Senatorin Anne Klein „überleben“.

„Es ist vielleicht einer unserer größten Erfolge, daß die CDU nicht mehr offen gegen uns auftritt“, zieht Stefan Reiß vorsichtig Bilanz. Er und seine MitarbeiterInnen können zwar eine ganze Reihe von Fachtagungen und nützlichen Broschüren – etwa zur antihomosexuellen Gewalt – vorweisen, allerdings kaum konkrete politische Erfolge. Mit ihrem nicht unumstrittenen Vorstoß zur Homo-Ehe sind die vier „Homo-Beamten“ ebenso gescheitert wie mit der Duldung von homosexuellen AsylbewerberInnen. Nur nach zähem Ringen mit Innensenator Heckelmann konnte ein Aufklärungsprojekt für PolizeischülerInnen realisiert werden.

„Wir sind noch dabei, Fundamente aufzubauen, das heißt Kontakte und Vertrauen innerhalb der Verwaltung zu schaffen“, beschreibt Stefan Reiß die Hauptarbeit des Referats, die nach außen hin unsichtbar bleibt: Briefe hin und her schicken, in Kommissionen hocken, Vorlagen erarbeiten. Im Papierkrieg sollen andere Verwaltungen dazu gebracht werden, in ihrem Zuständigkeitsbereich schwul-lesbische Belange zu berücksichtigen. Und dabei haben es die Homo- Beamten nicht leicht. Noch immer tuscheln Senatsbeschäftigte, wenn sie den MitarbeiterInnen des berüchtigten „Referats II C“ in der Kantine begegnen. Doch Stefan Reiß hat sich seine Arbeit nicht anders vorgestellt: „Wir sind nun mal dazu da, ständig in der Scheiße zu rühren.“

Größere Erwartungen hegte Albert Eckert, Abgeordneter von Bündnis 90/Grüne und einer der „Väter“ des Referats. „Statt des von uns erträumten rosa- lila Stachels im Fleisch des Senats ist es ein gutmütiger rosa-lila Amtsschimmel geworden“, lautet seine nüchterne Bilanz. Eckert vermißt vor allem öffentlichkeitswirksame und kritische Töne von den „Homo-Beamten“, eine Kampagne „Schwule gegen Wehrpflicht“ hätte er sich etwa gewünscht. Doch das gleichgeschlechtliche Referat wieder abschaffen, wie es sein früherer Parlamentskollege Dieter Telge bereits überlegt hatte, will Eckert nicht: „Die Bewegung muß weiterhin für diese Stellen kämpfen.“ Aus seinem Appell kann schon bald Ernst werden. Die Stadt Berlin steht vor einer umfassenden Verwaltungsreform – und damit vor weiteren drastischen Einsparungen.

Auch die schwul-lesbischen Initiativen wollen die „Homo-Beamten“ respektive ihre Fördermittel nicht missen. „Ohne das Referat würde es viele Projekte bei uns nicht geben“, ist Martina Weiland vom Lesbenarchiv „Spinnboden“ stellvertretend für die übergroße Mehrzahl der Homogruppen hochzufrieden. Der neue PC auf dem „Spinnboden“-Schreibtisch und die „benutzerinnenfreundliche Verschlagwortung des Buchbestandes“ gehen auf Gelder des Referats zurück. Insgesamt verteilten die „Homo-Beamten“ allein in diesem Jahr 514.000 Mark in der Szene. „Es geht nicht an, daß bei dieser Summe die Behörde allein entscheidet, wer Mittel bekommt und wer nicht“, schimpft Albert Eckert. Seit drei Jahren fordert er einen Beirat aus Vertretern der Lesben- und Schwulenbewegung, der über die Geldvergabe entscheidet. Stefan Reiß hat gegen die Forderung „grundsätzlich nichts einzuwenden“, verlangt aber vom Parlament genaue Vorgaben: „Ich frage mich allein, wie so ein Beirat besetzt werden soll, ohne daß es in der Szene ein Hauen und Stechen gibt.“

Den Streit, den die „Homo-Beamten“ mit ihren alternativen Gründungsvätern führen, brauchen sie mit ihrem obersten Chef, Familiensenator Thomas Krüger (SPD), nicht auszutragen. „Krüger ist ein Glücksfall, mit ihm können wir genausogut arbeiten wie mit Anne Klein“, meint Stefan Reiß. Vielleicht sogar besser. Denn anders als die lesbische AL-Senatorin, die ihre Lebensweise aus der Öffentlichkeit stets heraushalten wollte, zeigte der Ostberliner SPD-Rauschebart nicht die geringsten Berührungsängste zur Subkultur. Höhepunkt war sein legendärer Wahlkampfauftritt im schwulen Freiluftsex-Gebiet am Märchenbrunnen in Friedrichshain.

Im folgenden Jahr wollen die „Homo-Beamten“ an ihren bisherigen Schwerpunkten Pädagogik und Anti-Gewaltarbeit festhalten. Es sei denn, ein neuer Mitarbeiter bringt frischen Wind. „Nach vier Jahren muß man mal etwas anderes machen“, sagte sich nämlich Stefan Reiß und bewarb sich um eine Stelle im Rechtsreferat von Krügers Verwaltung. Daß er dort schon seit einigen Wochen vertretungsweise aushilft, wertet er als Zeichen für die „wachsende Akzeptanz“ des Homo-Referats. Und noch ein Erfolg wäre zu verbuchen, wenn Reiß' Bewerbung aufgeht: Aus dem einstigen Bewegungs-Schwulen würde in diesem Falle doch noch ein richtiger Beamter. Mit Pensionsanspruch.

Das Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen sitzt in der Alten Jakobstraße 12, 10969 Berlin, Telefon-Nummer 2654-4221 (für Frauen), 2654-4235 (für Männer). Anläßlich des Jubiläums laden die „Homo- Beamten“ am 15. Dezember um 19 Uhr ein zur öffentlichen Diskussion in die Senatsfamilienverwaltung, Am Karlsbad 8–10.