■ Pilotspiel in Rumänien wirbelt Millionen auf
: „Wir müssen uns in Geduld üben!“

Klausenburg (taz) – Die Stadt verfällt an Wochenenden wieder in ihre einstige Lethargie. Keine Sonderzüge kommen mehr an und keine 50.000 Menschen mehr pro Tag. Der Platz vor der Sporthalle, wo die Caritas residiert, ist leergefegt. Wissenschaftler wollen „das Phänomen“ jetzt soziologisch untersuchen.

„Ohne die Caritas“, sagt die alte Ungarin im rumänischen Klausenburg (Cluj), „wäre im Land längst ein vollkommenes Chaos ausgebrochen.“ Die 72jährige spricht allerdings nicht von der kirchlichen Hilfsorganisation gleichen Namens. Sie spricht von der Firma Caritas des Rumänen Ioan Stoica.

Gegründet vor anderthalb Jahren, hat sie in Rumänien eine nationale Hysterie ohnegleichen ausgelöst. Jeder Staatsbürger und jede Staatsbürgerin konnte eine beliebige Summe einzahlen und bekam nach Ablauf von drei Monaten das Achtfache ausgezahlt. Das „Spiel“, wie es die rumänischen Medien nennen, lief schwer an. Erst nachdem der Klausenburger Bürgermeister Gheorghe Funar, Chef der ultranationalistischen „Partei der Rumänischen Nationalen Einheit“ (PUNR), die Caritas öffentlich gepriesen hatte, setzte der Run ein. Zunächst innerhalb der Stadt, dann innerhalb des Distriktes. Und schließlich kamen die Menschen aus allen Teilen des Landes.

Vier Millionen sollen es bis Ende Oktober gewesen sein, wird in „ultrageheimen Regierungs- und Geheimdienstberichten“ behauptet, die das Boulevardblatt Evenimentul Zilei veröffentlichte. Darunter auch rund 200 namentlich bekannte Mitglieder des rumänischen Parlamentes. Der Umsatz, heißt es, habe von Juli bis Oktober monatlich rund 150 Milliarden Lei (300.000 Mark) betragen – für rumänische Verhältnisse astronomische Summen.

Während die einheimische Presse wild spekulierte, ob bei Caritas nun Drogen-, Waffen- oder Schweizer Gelder des hingerichteten Diktators Ceaușescu gewaschen würden, kamen die „ultrageheimen Berichte“ der Funktionsweise des Unternehmens auf die Spur: Für jede Auszahlung einer achtfachen Geldsumme an einen Mitspieler, so die superklugen Geheimagenten, müßten sieben andere Mitspieler jeweils die Grundsumme einzahlen – wegen der begrenzten Anzahl von Staatsbürgern werde es folglich eine Menge Verlierer geben.

Verbieten wollte die Caritas aber niemand, denn das wäre, wie der Landwirtschaftsminister meinte, der „Selbstmord der Regierung“. So kam, was kommen mußte: Am 6. Oktober zahlte die Caritas zum ersten Mal kein Geld aus, an einigen Tagen der folgenden Wochen blieben die Kassen ebenfalls geschlossen. Statt 20- bis 30.000 Menschen täglich können sich derzeit nur noch einige hundert ihr Geld abholen, und auch die werden nur mit Teilsummen abgespeist. Gerüchteweise soll sich Ioan Stoica schon ein Schweizer Visum besorgt haben. Bürgermeister Funar hingegen freut sich: Die 25 Meter hohe Statue des rumänischen Revolutionärs von 1848/49, Avram Iancu, die er sich so sehr gewünscht hat, wurde, finanziert aus Caritas-Geldern, am 1. Dezember eingeweiht. Die städtische Polizei bereitet unterdessen sämtliche Einheiten auf den Tag vor, an dem die Caritas Konkurs anmeldet.

Doch so wütend sind die Menschen in Rumänien nicht – nicht auf die Caritas. Einer aus Klausenburg, der noch auf sein Geld wartet, meint, daß die „Zigeuner, die bei Caritas arbeiten, Herrn Stoica in Schwierigkeiten gebracht haben“. Zweitens habe die Presse so lange gehetzt, bis sie die Firma in die Krise gezogen habe. „Wir müssen uns in Geduld üben, damit wir Herrn Stoica und die Caritas retten.“ Keno Verseck