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Genialer Tanz auf Lava-Asche

Davis-Cup-Finale: Nach dem Doppel führte das deutsche Team gegen Australien mit 2:1 / Kühnen entdeckte die Liebe fürs Spiel zu zweit  ■ Aus Düsseldorf Cornelia Heim

Samstag, 18.30 Uhr: Es schneit Kissen auf den Center Court. Jene Untersetzer, die der Deutsche Tennis-Bund (DTB) eigens hat drucken lassen fürs geneigte Aussitzen der ausverkauften Dauerkarten. Der Schaumstoff ist am Schluß platt wie 'ne Käsescheibe im Sandwich. Viel länger draufsitzen ging nimmer. Zwei Fünf-Satz-Krimis (Stich gegen Stoltenberg gewonnen, Goellner gegen Fromberg verloren), vier Stunden Doppel. „Wir wünschen den Davis- Cup-Teams viel Erfolg und allen Tennisfreunden spannende Spiele“ – prangte in schwarzen Lettern unter den Allerwertesten der 12.000 Besucher.

Da nun einmal einem sportlichen Wettkampf eigen ist, daß er keine zwei Sieger zulassen kann, konnte der Erfolg – trotz aller guten DTB-Wünsche unter jedem Popo – nur einem Team beschieden sein. 2:1 führten die Deutschen gegen Australien nach zwei Tagen (endgültige Entscheidung nach Redaktionsschluß). Auf sie regnete es weiße Kissen statt rote Rosen.

Patrik Kühnen schmeißt den Schläger weit von sich, um die Hände frei zu bekommen für einen engumschlungenen Augenblick mit Michael Stich. „Wenn man gewonnen hat, fühlt man nichts“, denkt Einzelgänger Stich, „nichts, außer Freude.“ 7:6 (7:4), 4:6, 6:3, 7:6 (7:4) – nach vier Stunden Tanz auf roter Asche gegen das eingespielteste Doppel der Welt. Vier Matches dauert die Zweisamkeit der Deutschen erst an. „Wir sind eben Genies“, zuckt Stich die Schultern. „Menschlich passen wir einfach zusammen“, erklärt Kühnen das instinktive Verständnis. Zum „Dauerreservisten“ hatte man den 27jährigen Saarländer, der in Düsseldorf nach fünf Jahren Davis-Cup erst sein siebentes Match bestritt, bereits abgestempelt.

Der ehemalige Bankdrücker stemmt den Mann an seiner Seite – immerhin die millionenschwere Nummer zwei der Weltrangliste – in die Luft. Patrik Kühnen – vom Daumendrücker zum Leistungsträger. So ändern sich die Zeiten. 1988 schickte ihn Kapitän Niki Pilic erst in die Arena, als Boris Becker, Carl-Uwe Steeb und Eric Jelen die Kastanien bereits aus dem Feuer geholt hatten und der Geist von Göteborg den Deutschen zum erstenmal in der 93jährigen Geschichte des Wettbewerbs zum Gewinn der „häßlichsten Salatschüssel der Welt“ verholfen hatte. In Schweden war Kühnen, was er gar nicht gerne hört – Ersatzmann. „Als ob ich nur eine Chance hätte, wenn sich ein anderer ein Bein bricht.“ Ein Bein brach sich keiner, und Kühnen blieb auch beim deutschen Davis-Cup-Wiederholungsfall 1989 in München wieder nur die Rolle desjenigen, den Papi Pilic auch 'mal spielen läßt, aber nur, wenn er nichts mehr falsch machen kann.

Dann wollten Boris Becker und Michael Stich miteinander statt, wie später, gegeneinander spielen – Kühnen war selbst als fünftes Rad nicht mehr zu gebrauchen. Und tat, was fleißige Arbeitsbienen immer tun: weiter andernorts Honig sammeln. Der 1,90 Meter- Hüne konzentrierte sich fortan nur noch aufs Doppel: „Ich wollte mich zurück empfehlen.“ Als Becker im Januar entschied, er, für seine Wenigkeit, habe sich genug fürs nationale Tennis empfohlen, rückte Kühnen wieder ins Team – als Spezialist fürs Doppelte. „Der Patrik steht neben mir, und ich stehe neben ihm“, beschreibt Michael Stich die noch junge Beziehung von Mann zu Mann.

Aus dieser entwickelte sich in Kürze eine Kiste, die so gut lief, wie es keiner der Auguren vorherzusagen getraut hätte: Todd Woodbridge und Mark Woodforde, in 17 Turnieren ungeschlagen, unterlagen just jenem Pärchen, das Niki Pilic nur aus der Not geboren hatte. Und Hinterbänkler Kühnen war dabei die feste Bank. Den Matchball, wohlgemerkt den zweiten, verwandelte der einstige Tennis-Profi der Reserve. Den ersten hatte sein „Nebensteher“ mit einem Doppelfehler zerschlagen.

Aber das Schöne am Doppel ist eben, (hat Herberger auch Tennis gespielt?), daß immer zwei dazugehören. Günter Bosch, Ex-Becker- Trainer („Ach, derr Borris“): „Im Doppel geht es darum, seinen Partner ins Spiel zu bringen.“ Also nicht Aufschlag – wumm –, Return – bumm. Sondern plazieren, taktieren – spielen. Deshalb wird soviel mit dem Partner getuschelt auf dem Platz aus 56 Tonnen Ziegenmehl und 200 Tonnen Lavaasche. „Erst vorbereiten, dann abschließen.“ Statt kraftvollem Haudrauftennis etwas fürs Auge. „Doppel ist ein Stellungsspiel.“ Nichts für reine Schlägertypen Marke Baseball- Mütze falsch herum. Doppel entscheidet sich am Netz. „Wer dort schneller Position einnimmt, ist im Vorteil.“

Todd Woodbridge, der 22jährige Polizistensohn mit dem Konfirmandengesicht und verhältnismäßig kleiner Körpergröße (1,78 Meter): „Bewegliche Hände und Reaktionsvermögen, das zählt. Nicht die Reichweite.“ Volley – Lob – Rückhand-Überkopfball – passiert! Im Doppel bewegt sich etwas. Nicht nur die Zuschauer in den telekameragenen Logen bekommen etwas fürs Absitzen ihrer 16.000 Mark teuren VIP-Laufställe geboten. Auch der 08/15-Hintern springt auf, wenn La Ola ihn mitschwemmt und die beiden Deutschen auf dem Court zu Wellenreitern auf der Woge der stimmungswütigen Euphorie spült.

„Die Leute kommen wegen der Einzel und haben Spaß am Doppel“, meint Geoff Pollard, Präsident von Tennis Australia, traurig über den Punktverlust der „Woodies“, aber noch trauriger über die Entwicklung im Welttennis. Australier liebten das „social tennis“, weil man als Aussie gemeinhin zur Geselligkeit neige, und in den vielen Clubs „down under“ so viele Tennisfreunde spielten, daß man durchaus rationell, in Ermangelung ausreichend vieler Courts, die Spielenden kurzerhand verdoppele. Meisterschaften werden vorzugsweise im Doppel ausgetragen. Was in Deutschland gerade einmal das Ansehen eines Ersatzteillagers genießt, kann für einen Australier ganz schön einträglich sein. Für Mark Woodforde (28) lohnt es sich längst, außer seiner Heimatstadt Adelaide in Monaco steuergünstig zu residieren: mehr als zwei Millionen Dollar hat er zusammengespielt, fast die Hälfte im Doppel.

Doch Lorbeer bringt die Vorliebe für gemeinsame Spielchen seit 1971 nicht mehr ein – getrennte Weltranglisten förderten das Spezialistentum und die Abwertung der Doppelstrategen. „Zu Unrecht“, sagt Günter Bosch, „es ist völlig falsch, nur Spieler, die im Einzel versagen, ins Doppel auszumustern.“ Michael Stich ist ein Weder-noch-Versager, aber obwohl er nach seinem Matchgewinn im Einzel „schön gebadet, schön gegessen und schön geschlafen“ hatte, gestand er Umstellungsprobleme: „Wer gewohnt ist, immer alleine den Punkt zu machen, dem fällt es ganz schön schwer, plötzlich nur ein Halbfeld zur Verfügung zu haben.“ Teilen will gelernt sein.

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