Neue Contergan-Kinder

■ Das Schlafmittel Contergan wird in vielen Ländern immer noch eingesetzt

Köln/Stolberg (AP) – Drei Jahrzehnte nach dem Contergan- Skandal in Deutschland sind in Brasilien Kinder mit Mißbildungen geboren worden, die nach einem Bericht von „Stern-TV“ auf den Wirkstoff Thalidomid des Mittels zurückzuführen sind. Wie das Magazin mitteilte, ist der Stoff in Lepramedikamenten enthalten, die die Weltgesundheitsorganisation WHO in 39 Ländern der Dritten Welt gegen die Armutskrankheit empfielt. Die WHO-Auflagen, das Mittel „vom Arzt kontrolliert und unter keinen Umständen bei gebärfähigen Frauen“ einzusetzen, würden vielfach nicht eingehalten.

„Bei 150 Millionen Menschen, die an der Armutsgrenze leben, kommt für viele ein Arztbesuch aus Kostengründen gar nicht in Frage“, erklärte die Präsidentin der Vereinigung der Thalidomid- Geschädigten, Rosangela Nasimento, den Angaben zufolge in „Stern-TV“. Auch Frauen gingen ohne Rezept in Apotheken, um das Medikament gegen Lepra zu bekommen, dabei wüßten viele nicht, daß sie schwanger seien. In Brasilien, wo eine Million Menschen an der Krankheit leiden solllen, seien schon 21 Kinder wegen Thalidomid mit Mißbildungen auf die Welt gekommen. WHO und brasilianisches Gesundheitsministerium ignorierten das Problem. Gleichwohl seien einige der Kinder schon als Thalidomid-Opfer anerkannt und bezögen eine monatliche Rente von rund 30 Mark.

Der deutsche Hersteller Grünenthal, der Thalidomid entwickelte und 1957 unter dem Namen Contergan als Schlafmittel in den Handel brachte, zog das Mittel 1961 vom Markt und zahlte später über 130 Millionen Mark an die Geschädigten, wie Kai Zwingenberger, Immunologe und Tropenmediziner bei der Stolberger Firma, auf Anfrage sagte. Seitdem stellt das Unternehmen den Wirkstoff nach seinen Worten nicht mehr her. Aus alten Beständen gebe es aber immer noch Tabletten zur Spezialbehandlung beispielsweise bei Knochenmarktransplantationen oder Autoimmunerkrankungen an Ärzte und Kliniken kostenlos ab. – Rund 1.000 Patienten in Deutschland und etwa ebenso viele in den Nachbarländern erhalten den Angaben zufolge pro Jahr den Wirkstoff von Grünenthal. In der Dritten Welt werde Thalidomid von der Firma nur abgegeben, wenn sichergestellt sei, daß das Gesundheitswesen ausreichend staatlich kontrolliert werde. Nach Brasilien wird das Mittel von Grünenthal nicht abgegeben, wie Zwingenberger sagte. Dort gebe es mindestens drei Firmen, die den Wirkstoff selbst herstellten. In China stehe er sogar auf der Erstattungsliste der Krankenversicherung.