Burundi kehrt zurück zu Apartheid und Krieg

Der Militärputsch in Burundi ist zwar gescheitert, die gewählte Regierung amtiert wieder – Frieden herrscht aber nicht. Zehntausende sind tot, Hunderttausende auf der Flucht. Eine Teilung des Landes ist nicht ausgeschlossen  ■ Von François Misser

Schlittert Burundi, wo die Gewalt seit dem Putschversuch vom 21. Oktober nach Schätzungen von Hilfsorganisationen mehrere zehntausend Menschenleben gefordert hat, jetzt in einen regulären Bürgerkrieg? Am heutigen Montag soll Melchior Ndadaye, der am 21. Oktober von Soldaten ermordete gewählte Präsident Burundis, ein feierliches – und schon einmal verschobenes – Staatsbegräbnis erhalten. Und in Vorbereitung darauf ist die Angst groß: Die Regierung, oder was von ihr nach dem Tod Ndadayes noch übrig ist, hat sich in einem Hotel verschanzt, bewacht von einer Leibgarde unter französischem Kommando. Sie ist nicht im geringsten in der Lage, für Ordnung im Land zu sorgen, und kann es sich nicht leisten, der Armee freie Hand zu gewähren. Die hatte zwar nach dem Zusammenbruch ihres Putsches die alte Regierung weiter amtieren lassen, doch das zivile Kabinett traut den Militärs nicht über den Weg, wenn es auch regierungstreue Einheiten in der Armee gibt.

Jeden Tag reisen Minister auf „Befriedungstour“ durch die Berge um die Hauptstadt Bujumbura – aber die Paranoia ist groß. Alle rechnen mit dem Schlimmsten. Ob sie zur lange unterdrückten Hutu-Bevölkerungsmehrheit gehören, die den Großteil der Regierung stellt, oder Tutsis sind wie die meisten Mitglieder der einst regierenden Armee – Minister und Geschäftsleute schicken seit einigen Tagen ihre Frauen und Kinder ins Ausland.

Weite Landesteile sind außer Kontrolle geraten

Die Schulen in der Hauptstadt sind geschlossen. Aber Tutsi-Schüler joggen in den Straßen, überwacht von Soldaten in Zivil. Die Hutu- Bevölkerung schließt daraus, daß die Tutsi-Kinder nachts von der Armee an der Waffe ausgebildet werden, in Vorbereitung für den Bürgerkrieg. Gleichzeitig sorgt sich das Parlament im Nachbarstaat Ruanda in einer Anfrage an die ruandische Regierung um angebliche Militärübungen burundischer Hutu-Flüchtlinge in Ruanda unter der Leitung der „Nationalen Befreiungsmacht“ (Force Nationale de Libération, bewaffneter Arm der im Untergrund agierenden verbotenen burundischen „Hutu-Volksbefreiungspartei“ (Palipehutu).

Der kleinste Zwischenfall kann blutige Konsequenzen haben. Ende November findet im Stadtviertel Musaga in der burundischen Hauptstadt eine Jugendversammlung der Regierungspartei „Frodebu“ statt. Zuvor gewarnte Tutsis gehen hin, es kommt zu Schlägereien. Milizen beider Seiten greifen ein, mehrere Menschen werden gelyncht. Schließlich interveniert die Armee und schießt: zehn Tote.

Aufrüstung auf beiden Seiten, und internationale Zwischenfälle häufen sich. Radio Ruanda meldete am 30. November einen Überfall der burundischen Armee auf ruandisches Staatsgebiet, dem dreizehn Bauern zum Opfer gefallen seien. Die burundische Botschaft in Brüssel ihrerseits meldete einen Tag später einen Angriff unbekannter Zivilisten aus Tansania, die einen burundischen Soldaten verwundet hätten.

Im Norden Burundis sind weite Gebiete nicht mehr unter Kontrolle der Armee. Hutu-Bauern haben die Straßen mit Bäumen versperrt und töten Militärpatrouillen – sieben Soldaten starben bei einem solchen Gefecht Ende November.

Das ganze Land ist dabei, sich in einer Art Apartheid einzurichten: „kleine Apartheid“ in den Bars und Märkten der Hauptstadt, wo Tutsis und Hutus sich nicht mehr gegenseitig bedienen, und sogar richtige „große Apartheid“ im Land insgesamt. Nachdem Hunderttausende von Hutus in den letzten Wochen außer Landes geflohen sind, versammeln sich jetzt Tutsis unter Militärschutz auf den Straßen nach Süden, wo es am wenigsten Gewalt gegeben hat, und auch in einigen Stadtvierteln von Bujumbura.

Jeder wähnt beim anderen einen Vernichtungsplan

Wer könnte unter solchen Umstände Frieden wiederherstellen? Die Regierung ist relativ machtlos: Präsident, Vizepräsident und Parlamentspräsident starben bei dem Putsch, das gewählte Parlament ist untergetaucht oder ins Exil gegangen. Selbst die Kirche ist gespalten: Der örtliche Leiter des Dominikanerordens, ein Hutu, streitet mit den katholischen Bischöfen, die Tutsis sind. Die Versammlungen der Menschenrechtsliga spiegeln Unversöhnlichkeit wider: die Hutus sprechen von den Übergriffen der Armee, die Tutsis von Pogromen der Hutus. Die Einheit Burundis steht auf dem Spiel. Daß ein Minister kürzlich entgegen allen anderen Beobachtungen von 500.000 Toten sprach und die Bevölkerung aufforderte, „mit allen Mitteln“ Bewegungen der Armee im Land zu verhindern, kann zur Entspannung kaum beitragen.

Selbst Teilungsszenarien, die vor kurzem noch als Spinnereien galten, werden immer häufiger diskutiert: Burundi könnte ethnisch zweigeteilt werden, mit dem Süden – wo die drei früheren Präsidenten Micombere, Bagaza und Buyoya und die meisten Armeeführer herkommen – als „Tutsiland“ im Gegensatz zum restlichen Burundi und Ruanda, wo Hutus regieren.

Der Teilungswunsch speist sich aus dem wachsenden Mißtrauen. Burundis Armeeoffiziere mit ihrer düsteren Vergangenheit werden im besten Falle der Komplizenschaft mit den gescheiterten Putschisten beschuldigt. Die Regierung ist ihrerseits überzeugt, daß der Putschversuch Teil eines regelrechten Vernichtungsplans der Tutsis war: Tatsache ist, daß in einigen Gegenden, zum Beispiel Ruyigi, Soldaten nach dem Putsch begannen, Mitglieder der Regierungspartei „Frodebu“ ohne Anlaß umzubringen, bevor irgendwelche ethnischen Auseinandersetzungen begonnen hatten. Aber die Tutsis fühlen sich nicht schuldig. Sie fürchten einen „Völkermord“, der schon im Vorfeld des Putsches vorbereitet worden wäre, und verweisen auf die Schnelligkeit, mit der im ganzen Land Hutu-Bauern nach dem Putsch Straßenbarrikaden bauten und die Hütten ihrer Nachbarn in Brand steckten.

Als erster Schritt zur Befriedung Burundis will die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) nun eine 200köpfige Truppe zum Schutz der Regierung schicken. Aber das wird kaum ausreichen. Und während Burundi brennt, flammt auch im benachbarten Ruanda, dessen Regierung mehrheitlich aus Hutus besteht, der gerade geschlichtete Bürgerkrieg zwischen der Armee und der aus exilierten Tutsis bestehenden Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) wieder auf. Vier Bürgermeister aus dem Norden Ruandas, die der Regierungspartei angehören, wurden kürzlich ermordet; in den letzten Tagen wurden im Gegenzug die Tutsi-Bewohner des Distrikts Bugesera angegriffen. Am 1. Dezember berichtete Radio Ruanda, RPF-Kämpfer hätten in einem Dorf im Norden zwanzig Menschen umgebracht. Für Anhänger des ruandischen Präsidenten Habyarimana sind die Ereignisse in Burundi ein Beweis, daß man Tutsis nicht trauen kann, und ein Anlaß, den im Sommer zwischen Regierung und RPF unterzeichneten Friedensvertrag zu kippen und die darin vereinbarte Bildung einer gemeinsamen Regierung und die Verschmelzung der beiden Armeen zu verhindern.

Gibt es also keine Hoffnung? Das für heute angesetzte Staatsbegräbnis in Burundi könnte zu einem Test werden: Die Armee und die Miliz der Regierungspartei „Frodebu“ haben sich verständigt, gemeinsam für Sicherheit zu sorgen. Es könnte der Grundstein für eine Annäherung sein – oder das Fanal für den Krieg.