Entschädigung nur für große NS-Opfer

Beratungsverband für NS-Verfolgte droht das Aus Regierung sieht keinen Bedarf  ■ Von Anita Kugler

Ende des Jahres muß eine in Deutschland einzigartige Institution schließen: Der „Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte“ in Köln. Sämtliche Anträge auf Zuschüsse beim Land NRW, bei der evangelischen Landeskirche und beim Bund wurden abgelehnt.

Während die Kirche und das Land Nordrhein- Westfalen argumentieren, der Bund solle die für 1994 benötigten 380.000 Mark übernehmen, meint dieser, daß für eine Förderung „kein sachlicher Bedarf“ bestehe. Endgültig abgelehnt wurde die Finanzierung während der Haushaltsberatungen letzte Woche. Die 28 Mitgliedsorganisationen des Bundesverbandes werden heute besprechen, wie es weitergehen soll. Die einzige Alternative zum behördlich verordneten Aus ist eine reduzierte Beratungstätigkeit auf ehrenamtlicher Basis. Denn in den Schubladen liegen noch 180 verschiedene Anträge von NS-Verfolgten auf Entschädigungszahlungen.

„Von fehlendem sachlichem Bedarf kann überhaupt keine Rede sein“, meint Verbandsvorsitzender Peter Liebermann. Der Dachverband sei gegründet worden, weil viele Verfolgte die Antragsfrist für Zahlungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz versäumten oder, wenn sie aus den neuen Bundesländern oder der ehemaligen Sowjetunion kamen, versäumen mußten. Denn berücksichtigt wurden nur diejenigen, die aus rassischen, religösen oder politischen Gründen verfolgt wurden und dies bis 1969 glaubhaft machen konnten. Homosexuelle, sogenannte Asoziale, Deserteure oder alle, die ihre Anträge erst nach 1969 stellten, gingen leer aus. Zwar richteten Bund und einige Länder später sogenannte Härtefonds ein. Nicht jeder ehemalige Verfolgte kennt aber die komplizierten Regelungen oder weiß, welcher Fonds für ihn zuständig sein könnte. Genau hier setzte die Arbeit der Beratungsstelle ein. In den letzten Jahren konnte über 800 Menschen zu Entschädigungszahlungen verholfen werden.

Der eigentliche Grund, den Verband finanziell austrocknen zu lassen, sagt Liebermann, sei die Kritik des Verbandes an der „Wiedergutmachungspraxis“ der Regierung. So hieß es in der 1. Auflage ihres Entschädigungsleitfadens: „... viele Härteregelungen sind nach folgendem Strickmuster aufgebaut. Absatz 1 besagt, jeder kann etwas bekommen, ... sofern der Antragsteller größer als 190cm, gehbehindert ist sowie ein blaues und ein braunes Auge hat.“ Dieser Satz empörte den Parlamentarischen Staatssekretär beim Finanzministerium, Jürgen Echternach (CDU), maßlos. Es kann doch nicht „wirklich Aufgabe der Regierung sein, eine Einrichtung finanziell zu fördern, die in ihren Publikationen das Wiedergutmachungswerk der Bundesrepublik negativ bewertet“, empörte er sich in einem Brief an den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Lüder (FDP). Auf das Argument von Günther Saathoff, Verfasser der Broschüre, die abschließenden Härteregelungen des Bundes vom März 1988 seien so streng, daß von den bewilligten 47 Millionen Mark nur 1,6 Millionen tatsächlich für NS-Opfer ausgegeben worden seien, ging Echternach nicht ein.

Der Verband mußte jetzt seinen drei Mitarbeitern kündigen. „Nazi- Opfer sind kein Thema mehr“, sagt Liebermann bitter, schließlich habe die Bundesregierung mit der Einrichtung der Neuen Wache als „Kranzabwurfstelle“ dem Gedenken Genüge getan.