„Existenzgeld“ soll offensiver gefordert werden

■ Basisinitiativen trafen sich in Berlin zum 4. Sozialpolitischen Forum

Berlin (taz) – Es sollte ein „Forum der Widerstandsbewegung gegen die ungerechte Umverteilungspolitik“ der Bundesregierung werden, festzustellen waren jedoch erhebliche Ermüdungserscheinungen an der Basis. Neunzig TeilnehmerInnen aus Ost und West waren der Einladung der AG Spak, der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, und der Sozialpolitischen Gesellschaft gefolgt, um über Grundsicherung und Erwerbslosigkeit, Wohnungsnot, multikulturelles Leben, alternative Wirtschaftsformen, Jugendarbeit und Pflegeversicherung zu diskutieren.

Der Sozialabbau der letzten Jahre habe im Westen zu einem „fatalen Gewöhnungsprozeß“ geführt, stellte Wolfgang Scherer von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Sozialhilfeinitiativen fest. „Es gibt kaum noch aktive Gegenwehr, auf die Kürzungen wird immer individualisierter reagiert.“ Man müsse überlegen, wie man aus dem „Loch“ wieder herauskomme, meinte auch ein anderer Teilnehmer. „Vielleicht bringen neue Aktionsformen wieder Schwung rein.“

Die Abwehrkämpfe gegen soziale Kürzungen haben nicht nur an den Kräften gezehrt, es erscheint in der derzeitigen Situation auch nahezu aussichtslos, ein Modell der Grundsicherung offensiv zu vertreten. Die BAG der Sozialhilfeinitiativen, die sich bei ihren Berechnungen an den Lebenshaltungskosten orientiert, schlägt als „Existenzgeld“ 1.200 Mark plus Miete vor. „Es ist nur schwer zu vermitteln, daß mit dem Existenzgeld keine Verpflichtung zu gesellschaftlich sinnvoller Arbeit verbunden ist“, wandte Rainer Roth, Fachhochschulprofessor aus Frankfurt, ein. In der Tat dürfte die gesellschaftliche Akzeptanz für die Grundsicherung gering bleiben, solange jeder Arbeitsplatzbesitzer den Eindruck hat, daß die Existenzgeldempfänger auf seine Kosten faulenzen. Um dieses Argument zu entkräften, hieß es in der Diskussion, müsse immer wieder darauf hingewiesen werden, daß vier bis sechs Millionen Bundesbürger gar nicht die Chance haben zu arbeiten. Bezahlt werden soll das Existenzgeld durch die Umverteilung von Unternehmensgewinnen.

Existenzgeld-Befürworter Roth gab auch zu bedenken, daß eine Grundsicherung die Ausgrenzung von Minderqualifizierten forcieren könne. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, fordert die BAG der Sozialhilfeinitiativen eine gleichzeitige radikale Arbeitszeitverkürzung, eine Umverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit sowie Arbeit für alle, die arbeiten wollen.

Nachdem Grüne, PDS, SPD, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände verschiedene Modelle der Grundsicherung vorgelegt haben, ziehen jetzt auch CDU und FDP mit dem „Bürgergeld“ oder der „Negativsteuer“ nach (siehe taz vom 23.11.). Diese Vorschläge zielen allerdings darauf ab, die Sozialhilfe auf niedrigerem Niveau zu ersetzen: Die FDP setzt den Grundbedarf (ohne Miete) bei 550 Mark im Monat an. Um angesichts solcher Vorstellungen nicht ins Hintertreffen zu geraten, wollen die BAGs der Sozialhilfe- und Arbeitsloseninitiativen ihr Modell der Grundsicherung wieder offensiver vertreten. Dorothee Winden