Die verschwundene Schule

■ Wie SchülerInnen in drei Projekten des Schöneberg Museums die Verfolgungsgeschichte der Juden ihres Stadtteils entdecken / Nächstes Jahr neues Kinder- und Jugendmuseum

Die SchülerInnen einer 10. Klasse der Georg-von-Giesche- Realschule möchten ihrer Schule den früheren Namen wiedergeben. Erinnert werden soll nicht an Werner Siemens, der dem einstigen Realgymnasium 1903 Pate stand, sondern an die Verfolgung der Juden, die für die SchülerInnen über den früheren Namen ihrer Schule faßbar wurde. Entstanden ist die Idee im Rahmen eines Werkstattprogramms des Schöneberg Museums zum Thema „Gewalt und Ausgrenzung in der Geschichte“. Im November haben dort drei Projekte stattgefunden. Die Jugendlichen beschäftigten sich mit der Ausgrenzung der Juden bis zu ihrer Ermordung in den Vernichtungslagern. In der zehntägigen Auseinandersetzung mit der verschütteten Geschichte „ihrer“ Schule erfuhren die RealschülerInnen, daß das einstige Werner- Siemens-Realgymnasium 1935 wegen Schülermangels geschlossen wurde: Die Hälfte der Schüler waren Juden.

Petra Zwaka, die Leiterin des Schöneberg Museums, und der Projektmitarbeiter Wilfried Löhken hatten sechs ehemalige Schüler ausfindig gemacht, mit denen die Jugendlichen Videointerviews machten. Auffallend war dabei, wie unterschiedlich die damalige Zeit erinnert wurde. Für die drei nicht-jüdischen Schüler war es vor allem der liberale Geist der Schule, der im Vordergrund stand. Beispielsweise war das Realgymnasium in der Weimarer Zeit die erste Schule, die ein Schülerparlament hatte. Dort wurde unter anderem die Forderung nach freier (gleichgeschlechtlicher) Liebe aufgestellt. Nazis gab es nach ihrer Erinnerung an der Schule nicht.

Ganz anders die Erinnerung der beiden jüdischen Schüler von einst. Sie erinnerten sich noch genau, daß einer der Lehrer, „von dem das eigentlich niemand erwartet hatte“, gleich nach '33 die SA-Uniform aus dem Schrank geholt hat.

Die jüdischen Schüler emigrierten früh. Geblieben ist einer, der „nirgends richtig dazugehörte“. Von den Nazis als „Halbjude“ eingestuft, überlebte er in einem Arbeitslager der Organisation Todt.

Eher unbefriedigend verlief ein anderes „Experiment“. Die SchülerInnen einer 6. Klasse der Löcknitz-Grundschule hatten PassantInnen nach den Schildern des Denkmals zur Judenverfolgung befragt, die überall im bayerischen Viertel hängen. Wegschauen und Verdrängen sind weit verbreitet, so lautet das Resümee. Eine alte Dame etwa sagte, von den Deportationen habe sie nichts mitgekriegt, da sie gearbeitet hätte.

Eine Kassette, die als Hörrundgang die Geschichte der Judenverfolgung im Bayerischen Viertel erzählt, produzierten die SchülerInnen einer 10. Klasse der Riesengebirgs-Oberschule. In penibler Kleinarbeit recherchierten sie, wo noch Spuren der Judenverfolgung zu entdecken sind. Dazwischengeschnitten haben sie die Kommentare von PassantInnen.

Herausgekommen sind bei allen drei Projekten anschauliche Beispiele, wie Geschichte „be-greifbar“ werden kann. Sie sind als Bausteine für ein Kinder- und Jugendmuseum gedacht, das im nächsten Jahr in der Schöneberger Hauptstraße entstehen soll. Johannes Zerger

Die Arbeitsergebnisse der Projekte werden in einer Diskussionsveranstaltung am 7.12. um 19 Uhr im Haus am Kleistpark (Grunewaldstraße 6–7) vorgestellt.