: "Iiih, total abartig!"
■ Schwänzen für die Randale: 60 Kids besetzen Stadtratbüro am Prenzelberg - Räume, Tekknodiscos und Anerkennung
Randale im Bezirk Prenzlauer Berg. Etwa 60 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 18 Jahren haben gestern den Vorraum des Büros von Tanjo Tügel, dem Bezirksstadtrat für Jugend, besetzt. Die Kids schwänzten die Schule, um ihre Forderung nach geeigneten Freizeit- und Aufenthaltsräumen durchzusetzen. Denn seit gestern ist ihr Jugendclub in der Kollwitzstraße wegen Bauarbeiten und Betreuermangel geschlossen. Ihr „Wunschzettel“ zum Nikolaustag: zwei große Räume mit fließendem Wasser, Strom, WC, Heizung und Küche sowie Gelder für eine geeignete Einrichtung und Spiele. Tügel hatte sich indes krankschreiben lassen. An seiner Stelle nahm ein Mann mit stechenden Augen das Anliegen der Kids zur Kenntnis: Jugendamtsdirektor Genz. „Wir haben viel zuwenig Raum!“ jammerte er angesichts der Jugendlichen, die sich auf dem Korridor drängten. Er meinte damit die Enge in seinem Wirkungsbereich, dem Bezirksamt, und nicht die miserable Versorgung der Jugendlichen in seinem Bezirk mit adäquaten Freizeit- und Aufenthaltsräumen. Denn deren Situation in Prenzlauer Berg ist mehr als trist. „Es gibt hier nix, wo man hingehen kann. Nicht mal 'ne ordentliche Disco“, klagt Markus. Er und seine Freunde sind sauer. „Wenn wir mal in einen der anderen Jugendclubs gehen wollen, belabern uns gleich irgendwelche ekligen Betreuer, die was dagegen haben, daß wir Tekkno hören. Oder sagen, daß aus uns sowieso keiner anständige Leute machen könnte. Und in die anderen Jugendclubs, die noch irgendwie okay sind, kommste nicht mehr rein. Die sind von anderen Typen besetzt. Meistens Linke und so, die einen als Rechten betrachten, bloß weil man normal angezogen ist“, sagt Dennis.
In der Zwischenzeit verhandelte Doreen Kröber vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit mit dem Jugendamtsdirektor und dem Bezirksstadtrat für Finanzen. Nach einer halben Stunde kommt sie aus dem Büro und unterrichtet die Betroffenen über den Erfolg ihrer Bemühungen. Vorübergehend sei ihnen das Jugendzentrum „Jux“ in der Schönhauser Allee als Freizeitterrain angeboten worden. „Iiih, total abartig!“ meint Inga, die das „Jux“ schon kennt und dort nicht gerne hingeht. „Da ist es nicht nur absolut scheiße und langweilig, sondern die Leute, die da sind, wollen auch unter sich bleiben. Außerdem macht der Laden immer schon um 19 Uhr zu.“
Also auch keine wirkliche Alternative. Den Kids aus Prenzlauer Berg bleibt keine andere Wahl, als sich wie früher am Wasserturm zu treffen. Auf dem Gelände des kleinen Wassertankbehälters befindet sich ein ehemaliger ABC-Schutzbunker, in dem sich die Jugendlichen trafen, bevor Doreen Kröber in dem Jugendclub in der Kollwitzstraße eine geeignete Einrichtung fand. Die bloße Feststellung von Jugendamtsdirektor Genz, mit dem Fall der Mauer seien die Strukturen der Jugendarbeit im Ostteil zusammengebrochen, nutzt den Kids indes wenig. Peter Lerch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen