: Unterm Strich
Frankreichs Kulturpolitiker denken gar nicht darin, ihre protektionistische Linie aufzugeben, im Gegenteil: Mindestens 40 Prozent französische Chansons sollen die einheimischen Rundfunksender in Zukunft spielen. Auf eine entsprechende Ergänzung des Landesmediengesetzes einigte sich am Samstag die Nationalversammlung mehrheitlich. Zugleich wurde ein vom Staat getragenes Erziehungsprogramm im Fernsehen beschlossen.
Michael Jackson will jetzt aussagen, und zwar unter Eid. Am 18. Januar soll es eine erste Stellungnahme von ihm zu den Vorwürfen geben, den 13jährigen Jordan Schwartz monatelang sexuell mißbraucht zu haben. Jackson sei „begierig, seine Seite der Geschichte darzustellen“, ließ er über seinen Anwalt Howard Weitzman am Freitag abend mitteilen. Überhaupt befinde er sich auf dem Wege der Besserung, nachdem er sich irgendwo „in the middle of Europe“ wegen seiner Medikamentenabhängigkeit habe behandeln lassen. Bis Januar will Jackson wieder in Kalifornien sein, wo auch das Zivilverfahren gegen ihn am 21. März beginnen soll. Wie seine Eltern die Presse wissen ließen, ist Jackson auch bei einer TV-Show dabei, die am 5. Februar in Las Vegas aufgezeichnet werden soll, Titel: „The Jackson Family Honors“.
In Sachen Bonengel und dessen umstrittenen Film „Beruf Neonazi“ hat sich jetzt die Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten mit einem klaren Votum gegen Zensur ausgesprochen. Nicht der Film sei skandalös, sondern die Tatsache, daß der darin in Wort und Aktion dokumentierte Neonazi Ewald Althans seit Jahren ungehindert tätig sein könne, heißt es in einem offenen Brief der Vorstands der Arbeitsgemeinschaft (der etwa 200 Journalisten angehören). Gar nicht einverstanden zeigte sich die Arbeitsgemeinschaft auch mit Überlegungen, die Produzenten zur Rückzahlung der staatlichen Fördergelder zu zwingen, die den Film erst möglich gemacht hatten. Begründung: Politische Instanzen dürften die Entscheidungen unabhängiger Gremien der Filmförderung nicht revidieren.
Eine in Darmstadt geplante Ausstellung mit Werken des 1961 gestorbenen italienischen Malers Mario Sironi ist von den Stadtoberen wegen dessen faschistischer Vergangenheit gecancelt worden. Werke Sironis, der 1922 der italienischen faschistischen Par
tei beitrat, werden zur Zeit in Rom gezeigt, demnächst sollen sie auch im Grand Louvre zu sehen sein.
Der südafrikanische Filmregisseur Manie van Rensburg, bekannt vor allem durch seinen Film „The Fourth Reich“ (über den südafrikanischen Nazi- Spion Robey Leibbrandt), hat sich am Freitag in seinem Haus im Johannesburger Vorort Melville erschossen. Warum, weiß bislang nicht einmal die südafrikanische Sunday Times, die den Selbstmord als erste meldete.
Heute wird der amerikanische Soziologe Lewis A. Coser von der Berliner Humboldt-Universität mit einem Ehrendoktor bedacht. Das ist mal eine wirklich schlüssige Sache, weshalb wir uns denn auch hiermit bescheiden in die Reihe der Gratulanten fügen – denn Coser ist nicht nur vor ziemlich genau 80 Jahren in Berlin geboren worden, er hat auch seine intellektuellen Wurzeln im Werk des größten Soziologen, den diese Stadt hervorgebracht hat: Georg Simmel. Coser, der aus dem jüdischen Bürgermilieu stammt, hat eine jener Außenseiterkarrieren durchlaufen, ohne die das intellektuelle Leben dieses Jahrhunderts nicht das wäre, was es ist. Ab 1932 studierte er in London und Paris; aus dem Studienaufenthalt wurde das Exil. 1941 gelang ihm über Spanien und Portugal die Flucht in die Vereinigten Staaten. Er hatte sich schon in der Weimarer Zeit und auch später in Frankreich in sozialdemokratischen Organisationen engagiert. In den USA blieb er dieser Linie durch Essays und Kommentare treu, die von den großen linksliberalen High- Brow-Zeitschriften wie „Politics“, „Partisan Review“, „The Nation“ veröffentlicht wurden. (1954 gründete er dann selber (mit Irving Howe) eine der einflußreichsten – „Dissent“. Als Soziologe lag er quer zu der in den fünfziger Jahren vorherrschenden struktur-funktionalen Theorie im Gefolge Talcott Parsons. Während der Mainstream auf Integration und Stabilität sozialer Systeme abhob, stellte Coser die dynamische Funktion sozialer Konflikte heraus – ganz im Sinne Georg Simmels („Der Streit“), der damals noch nicht Mode war. Über Simmel, seinen großen Anreger, hat Coser später häufig geschrieben, und er hat sich dabei, wen wundert's, vor allem auf die Bedeutung des Außenseitertums für dessen Verständnis der Soziologie bezogen.
Außenseiter war jener an der gewesenen Friedrich- Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, die nun zu Simmels Ehren, der hier zwar die Soziologie vor 100 Jahren eingeführt hatte, aber nicht zuletzt wegen des landläufigen Antisemitismus niemals über den Status des Privatdozenten hinauskam, eine „Georg-Simmel-Gastprofessur“ eingerichtet hat. Eine späte Wiedergutmachung, die immerhin hoffen läßt, daß hier die Simmel-Forschung endlich vom gelehrten Privatvergnügen zu einer anerkannten Sache wird.
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