Der große Zappano

Er war nur wegen des Geldes drin, hatte aber trotzdem kein Herz für Plastic People. Nachbetrachtungen zu einer Anti-Rock-Legende: Am Wochenende starb Frank Zappa im Alter von 52 Jahren an Krebs  ■ Von Harald Fricke

Aussteigen, ohne wieder einzusteigen, in Halbschräglage um die Achse des Rock 'n' Roll kreisen, dann aber hier und da ein Türchen aufmachen; mit Jazzmusikern alte Filmmelodien einjammen; in die Avantgarde vorpreschen, Klassik am Computer verhackstücken, Opern und schließlich sich selbst demontieren; schrecklich kitschig und hundsgemein über Popmusik als american dream herfallen – dies alles und noch mehr könnte man Zappa im Rückblick auf die letzten 25 Jahre seines musikalischen Experimentierens nachsagen, jetzt, da er tot ist. Ob's reicht?

Wie die meisten Erinnerungen der Rockmusik gehen auch die an Frank Zappa auf die frühen siebziger Jahre zurück. Jedenfalls war es das Jahrzehnt der Super-Rock- Bands, in dem der am 21. Dezember 1940 in Baltimore, Maryland, geborene Sohn eines Chemikers griechisch-arabisch-sizilianischer Abstammung „die Quintessenz des Grotesken in der Rockmusik“ verkörperte, wie der Guardian das Treiben Zappas und seiner Mothers of Invention beurteilte. Die Mischung aus Fifties-Doowop- Chören und wirrem Zirkusgedudel, aus schrillen Sci-fi-Sounds und obszönem Rocktheater trug dazu bei, daß Rockmusik zum Zeitpunkt einer ersten allgemeinen Sättigung weiterhin quertrieb.

Zappa ließ Edgar Varése, Free Jazz und Jimi Hendrix in atonalen Soundcollagen miteinander verschmelzen, für die er selbst eine passende Kategorie erfand: „musikalische Müllskulpturen“. Schon 1967 war ihm das Rockgeschäft unendlich verhaßt gewesen. Die Beatles wurden wegen ihres „Sgt. Pepper“-Albums als lustvolle Popband mit kulturellem Anspruch gelobt, in San Francisco sorgten Blumenkinder und die Hippies von Haight Ashbury dafür, daß in ihrer sonnigen Nische der Hanf blühte und die Zeit stillstand. Frank Zappa konterte: Die Platten „Freak Out“, „Absolutely Free“ und „We're only in it for the Money“ waren unnachlässig giftige Kolportagen auf „Plastic People“ und „Flower Punks“. Während die amerikanische Jugend nach Vietnam verschickt wurde und fast alle zuschauten, waren die Mothers of Invention eine der ersten Gruppen, die mit radikaler Musik auf die sozialen und politischen Umstände reagierte: „Kein Akkord ist häßlich genug, all die Scheußlichkeiten zu kommentieren, die von der Regierung in unserem Namen verübt werden.“

Für kurze Zeit wurde Rockmusik zur Gegenkultur: Zappa schrieb Lieder über die Studentendemonstrationen in Berkley, agitierte gegen Nixon und forderte im Klappentext seiner LPs die Fans auf, sich nicht länger zu verweigern, sondern einzugreifen: „Don't forget to register to vote“ stand auf der 71er-Live-Platte aus dem Filmore-East.

Nur oberflächlich schien sich diese Haltung in den Popjahren zu verflüchtigen. Die Lieder wurden zwar geordneter, die Gitarrensoli ausgetüftelter und vor allem länger, aber die Texte parodierten nach wie vor das saubere Amerika. Statt wild umherschweifendem Bühnenaktivismus dominierte auch bei Zappa das Entertainment, der Schockeffekt allerdings blieb bestehen: Bei seinen Konzerten ließ er eine überdimensionale Stoffgiraffe ins Publikum ejakulieren. Schließlich gelang es Zappa sogar, mit „Bobby Brown“ 1979 einen pornographisch gefärbten Song an der Zensur vorbei in die Charts zu hieven, doch der Sex war auch hier nur Vorwand: „Oh god, I am the american dream, but now I smell like vaseline.“

Erst in den achtziger Jahren war Zappa die Strategien des Pop leid. Er wendete sich avantgardistischer Instrumentalmusik zu, arbeitete mit Pierre Boulez an einer symphonischen Fassung der frühen Politausbrüche oder half seinem Sohn Dweezil bei dessen Debüt „Having a Bad Time“. Seine Tochter Moon wurde ebenfalls in den musizierenden Familienclan aufgenommen: Sie schrieb die Texte, Dweezil spielte Gitarre, und Zappa setzte der Produktion auf seinem eigenen „Barking Pumpkin“-Label nur noch am Rande ein dezentes Kürzel zur Seite: FZ.

Damals hatte Zappa bereits von seiner Krankheit erfahren: Prostatakrebs lautete die Diagnose, gegen die er von nun an produzierte. Seit 1988 wurde nicht nur der gesamte Backkatalog digital überarbeitet, vor allem stellte Zappa eine gewaltige Zahl von Neuveröffentlichungen alten Materials unter dem schon ein wenig traurig stimmenden Titel „You can't do that on Stage anymore“ zusammen – insgesamt sechs Doppel-CDs.

Als Frank Zappa im Sommer 1991 seine Absicht äußerte, für das Amt des amerikanischen Präsidenten zu kandidieren, schien selbst diese launige Idee ins chaotische Bild des damals 50jährigen Alt- Bürgerschrecks zu passen. Die Meldung versetzte den Spiegel in helle Aufregung darüber, ob sich da womöglich der Friede des letzten zornigen Freaks mit dem Establishment anbahnte: „Frank Zappa aber ist, so scheint es, wirklich seriös geworden: Er hat die langen, wilden Haare abgeschnitten, hat keine Angst vor Anzügen mehr und trägt gelegentlich Krawatten.“ Schon sah man einen neuen Ronald Reagan an der kalifornischen Küste heranreifen, der – anstatt fest zum Marsch durch die Institutionen entschlossen – lediglich Showbusiness mit Politik verwechselt.

Es blieb bei Spekulationen. Zur Pressekonferenz anläßlich der Aufführung von „The Yellow Shark“ mit dem Frankfurter Ensemble Modern letztes Jahr hatten sich Zappas Pläne im demokratischen Aufwind um Bill Clinton verflüchtigt, die Haare waren wieder lang – und grau. Trotzdem hatte sich das Image vom nackten Drop-out, der für unzählige WG- Poster auf der Toilette posiert hatte, zu dem eines seriösen Komponisten gewandelt. Ihm war's egal: „Ich muß und will niemandem etwas beweisen.“ Es blieb bei diesem letzten Stand der Dinge.

Anders als Musikerkollegen wie Pete Townshend oder Neil Young hat sich Frank Zappa nie über das Altern und Sterben des Rock 'n' Roll beklagt. Für ihn gehörte ein gewisser Verfall zur Geschichte, die er auf einer der letzten Platten noch einmal durcheinandergewürfelt hatte. 1992 wurde eine durch Zappa orchestrierte Fassung von Led Zeppelins „Stairway to Heaven“ veröffentlicht, die er mit dem „Bolero“ von Ravel zusammenbrachte. Bis zuletzt konnte Rock 'n' Roll sehr romantisch sein, auch bei FZ. Das Kürzel wird bleiben.