„Die Bürger wollen eine linke Kraft neben der SPD“

■ Interview mit Lothar Bisky, dem Vorsitzenden der PDS und Abgeordneten im branden- burgischen Landtag, über die Bedeutung des Erfolgs seiner Partei für das Wahljahr 1994

taz: Herr Bisky, der Bonner CDU-Generalsekretär Hintze sagte über das gute Abschneiden der PDS, „die roten Socken schwimmen auf der Protestwelle nach oben“. Ist die PDS eine Protestpartei?

Lothar Bisky: Es ist egal, wer die Protestwähler gewinnt. Entscheidend ist, es gibt Protestwähler, und die sind am wenigsten bei der PDS.

Und wo sind die Ihrer Meinung nach abgeblieben?

Zu Hause geblieben. Die uns wählen, wollen vor allem andere Wege in der Politik. Ganz klar.

Also haben die Inhalte der PDS überzeugt?

Inhalte und Personen. Man sollte genau hinhören, wenn Meinungsumfragen besagen, daß in Deutschland erstmalig so deutlich nach Kandidaten gewählt wurde.

Nach der letzten Kommunalwahl konnte die PDS über einhundert Bürgermeister in Brandenburg stellen. Wie erklären Sie es sich dann, daß es diesmal erheblich weniger sind?

Das hat etwas damit zu tun, daß die PDS im Vorfeld von den Medien deutlich fertiggemacht wurde. Und wenn selbst die Oberdemokraten Stolpe und Hildebrandt durch das Land reisen und den Leuten sagen, es sei unmöglich, daß die PDS in Potsdam regiere, dann sind viele eingeschüchtert. Das sind ja alles brave Deutsche.

Der SPD-Landeschef Reiche sagte, daß die PDS nur deshalb so viele Stimmen gewonnen habe, weil sie ihre vollmundigen Versprechen nicht halten muß...

Je länger der Reiche redet, desto mehr Unsinn erzählt er. Ich nehme ihn ja nicht so ernst, aber das ist doch völliger Unsinn. Was haben wir denn versprochen? Wir haben doch weniger als die SPD versprochen. Die haben 1990 vor den Landtagswahlen erzählt: „Arbeit sichern für alle“. Heute feiern sie schon den Erhalt jedes dritten Industriearbeitsplatzes als Erfolg. Mit welcher Partei würden Sie eine Koalition auf lokaler Ebene am liebsten sehen?

Das fragen Sie besser die anderen Parteien. Wir haben überhaupt keine Berührungsprobleme. Die SPD wird ein bißchen motzen, aber unter der Hand arbeiten die ja doch mit uns zusammen. Allmählich öden mich die Typen an. Und wenn Frau Hildebrandt sagt, es gehe nicht mit der PDS, dann entsetzt mich dieses Demokratieverständnis. Die SPD ist nach dreieinhalb Jahren Herrschaft da, wo zum Glück die SED beseitigt wurde.

Den größte Wahlerfolg erzielte der PDS-Mann Rolf Kutzmutz in Postsdam. Zwei Tage vor der Wahl wurde bekanntgegeben, daß Kutzmutz vor 20 Jahren eine Verpflichtungserklärung der Stasi unterschrieben habe. Wie wirkte sich das aus?

Ohne diese Enthüllungen zur unrechten Zeit wäre Kutzmutz durchmarschiert. Dann wäre er heute Bürgermeister, davon bin ich überzeugt. Zum Glück haben wir die Akte noch öffentlich machen können. Und es wurde akzeptiert.

Warum stellen Sie sich vor Kutzmutz?

O Gott! (Pause) Ich stelle mich vor Kutzmutz aus einem ganz einfachen Grund: Ich glaube, daß er verdrängt hat, diese Verpflichtungserklärung unterzeichnet zu haben und deshalb die Öffentlichkeit nicht informiert hat.

Haben Sie keine Bauchschmerzen, den Inoffiziellen Mitarbeiter „Rudolph“ auf den OB-Posten zu hieven?

Die Bezeichnung IM ist eine der größten Nachkriegskeulen, die ich kenne. Ich kann das nicht mehr aushalten. Es gibt Leute, die haben eine Unterschrift geleistet und haben nie etwas berichtet. Damit muß differenzierter umgegangen werden.

Welche Art Informationen hat IM Rudolph denn weitergegeben.

Nach der Aktenlage war er harmlos.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Ist das PDS-Ergebnis richtungweisend für das Superwahljahr 1994, zumindest für die neuen Bundesländer?

Für die neuen Länder auf jeden Fall. Das ist schon ein phantastisches Ergebnis. In einem SPD-regierten Bundesland wollen die Bürger eine linke Kraft neben der SPD. Und das wird auch in den anderen Bundesländern so sein. Wir entfernen uns immer mehr vom Erbe der SED. Auf uns lastet jetzt das linke Erbe der Sozialdemokratie.