Engelbecken besetzt und geräumt

■ Symbolische Aktion von Wohnungslosen in Kreuzberg / Nach zweieinhalb Stunden erfolgte Räumung durch die Polizei

Gestern in SO 36: Über die Annenstraße rumpelt ein Traktor. Mit einem Bauwagen im Schlepptau biegt er auf das umzäunte Gebiet des Kreuzberger Engelbeckens ein. Auftakt einer neuen Runde der seit Monaten andauernden Auseinandersetzungen zwischen Wagenburglern und der Bezirksverwaltung. Bereits am 7. Oktober wurde die Wagenburg am Engelbecken aus der Innenstadt vertrieben.

Nachdem die BesetzerInnen ihren Wagen abgestellt haben, wird in aller Eile ein Feuer entfacht. Dann wird der Wohnwagen mit Transparenten behängt: „Wo Räumung zu Recht wird, wird Besetzung zur Pflicht!“ und „Autonome und Obdachlose geben nicht auf – Engelbecken erneut besetzt!“ ist mit roter Farbe auf die Bettlaken geschrieben.

Eine Streife, die sich zufällig in der Gegend aufhält, weist die Besetzer darauf hin, daß sie Hausfriedensbruch begehen und mit einer Anzeige zu rechnen hätten. Bruder Camillo und Schwester Maria vom Orden der „Geschwister vom Rande“, die mit den obdachlosen Autonomen zusammenleben, machen ihrer Betroffenheit Luft: „Wir fordern alle Vertreter des Senats und der Firma Alba auf, das Gebiet zu verlassen, weil sie sonst Hausfriedensbruch begehen!“ ruft Camillo der Mönch ins Megaphon und bezieht sich dabei auf die Müllbeseitigungs- und Entsorgungsfirma, die seinerzeit, bei der letzten Räumung, die Wagen der Leute vom Platz geschleppt hat.

Inzwischen sind weitere Polizisten eingetroffen, eine Vorhut. Sie halten sich zurück und beobachten die Besetzer, ohne zunächst einzuschreiten.

Die Besetzer, die seit der letzten Räumung mit einem sechzehntägigen Hungerstreik und einer Mahnwache auf dem Rosa-Luxemburg- Platz auf ihre Situation aufmerksam gemacht hatten, geben ihre Forderungen bekannt. Unter anderem die Einstellung sämtlicher Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Räumung der Wagenburg am 7. Oktober und eine Tolerierung von Haus- und Wohnungsbesetzungen. Vier Mannschaftswagen der Polizei treffen ein. Ein Abschnittsleiter fordert die BesetzerInnen auf, den Platz binnen fünfzehn Minuten freiwillig zu räumen. Andernfalls lasse er den Wohnwagen auf das polizeiliche Sicherstellungsgelände nach Karlshorst transportieren.

Nachdem das Ultimatum verstrichen ist, beginnt die polizeiliche Räumung. Die Autonomen und Obdachlosen werden mit Hebelgriffen vom Platz geführt und teilweise getragen. Die übrigen Wagenburgler ziehen ihren Wohnwagen schließlich doch lieber selbst vom Gelände. Fünf der Besetzer werden zur Feststellung der Personalien in eine Wanne verfrachtet, jedoch anschließend wieder freigelassen. Ende einer symbolischen Aktion nach zweieinhalb Stunden: Polizisten löschen das Feuer. Peter Lerch