Affentheater und Muppet-Show

Lizenzentzug und Funktionärsposse beim Fußball-Zweitligisten Rot-Weiß Essen  ■ Von Ernst Thoman

Essen (taz) – Sportlich lief eigentlich alles bestens beim Zweitligisten Rot-Weiß Essen. Im DFB- Pokal das Halbfinale erreicht, bei einem Heimspiel gegen Tennis Borussia beste Aussichten, in das Endspiel einzuziehen, und zudem, sollte es mit dem Pokalgewinn nicht klappen, trotzdem die Möglichkeit, nächstes Jahr im Europapokal zu spielen, wenn der mögliche Endspielgegner Meister werden sollte (Kaiserslautern/Bremen) oder noch für den europäischen Wettbewerb gesperrt ist (Dynamo Dresden). Auch in der zweiten Liga entwickelten sich die Dinge zur Zufriedenheit, und einige Optimisten begannen sogar bereits, euphorisch vom Aufstieg zu träumen.

Das harsche Urteil des DFB, die Essener wegen Betrugs beim Lizenzierungsverfahren am Saisonende auf den letzten Tabellenplatz und damit ins Amateurlager zu verfrachten, löste unter diesen Umständen einen gewaltigen Schock bei dem Traditionsverein aus, für den einst Leute wie Helmut Rahn, Ente Lippens, Frank Mill und Manni Burgsmüller stürmten. „Ich bin sprachlos und tieftraurig“, sprach Torwart Frank Kurth stellvertretend für die Mannschaft, „ich weiß nicht, wie wir uns für die restlichen Spiele noch motivieren sollen.“

Die unglaublich anmutende Geschichte zwischen sportlichem Traum und traumatischen Verhältnissen begann im Juni 1991. Rot-Weiß Essen wurde vom DFB zum Zwangsabstieg in die Oberliga verurteilt. Die Finanzen waren marode, der Schatzmeister hatte falsche Zahlen in die Lizenzunterlagen eingefügt. Für Insider und Fans galt der Klub als in die Versenkung abgedümpelt. Doch als niemand mehr einen Pfifferling für die Zukunft der „Roten“ geben wollte, begann die Zeit des Jürgen Röber.

Röber, in der Bundesliga für Werder Bremen, Bayern München und Bayer Leverkusen aktiv gewesen, kickte damals mit 38 Jahren als Dauerrenner im Mittelfeld. Nach dem Zwangsabstieg übernahm der Hobbygolfer – erst zwei Monate zuvor mit dem Bundesliga-Trainerschein ausgestattet (Note zwei) – die Trainerbürde. Ihm gelang es, den kompletten Kader an der Hafenstraße zu halten, und nur um ein einziges Tor wurde die Aufstiegsrunde zur zweiten Liga verpaßt. Dafür wurde Rot- Weiß Essen Deutscher Amateurmeister 1992.

In der vergangenen Saison schaffte der Klub aus dem Arbeiterviertel Bergeborbeck souverän den Aufstieg. Die Mannschaft verkörpert dabei einen Fußball, der im Revier ankommt: offensiv, spielfreudig, torhungrig. Röber meint, seine Spieler, mit denen er per du ist, „können gar nicht anders als nach vorne spielen“. Röber, der militärisch kurz gern von seiner „Truppe“ spricht, brauchte allerdings in den letzten Wochen eine große mentale Stärke, um dem „Affentheater und der Muppet-Show“ (Röber) im Präsidium die Stirn zu bieten.

Im Vorstand und Verwaltungsrat nämlich spielt man seit Monaten „elf gegen einen.“ Der eine ist Dr. Manfred Himmelreich (31), Rechtsanwalt und Yuppie-Typ. Himmelreich, mit einer Überdosis Naivität für das Fußballgeschäft ausgerüstet, wurde im März zum Präsidenten gewählt. Das mißfiel seinem großen Nebenbuhler Wolfgang Arnold (38), Betreiber eines Dentallabors. Als Vizepräsident wollte Arnold seinem Vorsitzenden alle, aber auch alle Zähne ziehen. So inszenierte Schatzmeister Arnold eine geschichtlich einmalige Selbstanzeige beim DFB und tat kund, daß Himmelreich die Frankfurter Fußballzentrale im Lizenzverfahren im Frühjahr mit einem falschen Vertragsspiel beschwindelt habe.

Himmelreich hatte, dies ergab die Untersuchung des DFB, dem Ex-Vorsitzenden Anton Döbbe, der den Klub nach dem Lizenzentzug 1991 saniert hatte, in Kontrakten, die dem DFB vorenthalten wurden, den Rückfluß von mehreren hunderttausend Mark zugesichert. Die Verträge wurden allerdings nicht wirksam.

Einen ersten Höhepunkt erreichte die zerstrittene Führungscrew bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 9. November. Zuerst verließ Himmelreich, der seinen Doktortitel über eine Arbeit zum „Großen Lauschangriff“ gebaut hatte, die Veranstaltung wegen zahlreicher Satzungsverstöße, dann wurde Arnold nach einer Blut-Schweiß-und- Tränen-Rede zum neuen Präsidenten gewählt. Arnold („Gott schütze Rot-Weiß Essen. Ich bin Christ“) wurde vierzehn Tage später vom Landgericht mitsamt seiner Mannschaft die Präsidentschaft wieder entzogen. Neuer und alter Präsident: Manfred Himmelreich. Dieser warf am Montag abend endgültig das Handtuch. Bleibt aber dabei, daß der DFB beim Lizenzverfahren nicht getäuscht worden sei.

Den Fans ist das inzwischen ziemlich gleichgültig. Mehrheitlich meinten sie, Rot-Weiß Essen brauche gar keinen Präsidenten, solange man einen Trainer wie Jürgen Röber habe. Der allerdings gilt bereits jetzt als Lichtgestalt für die Bundesliga. Für Bremens Präsident Franz Böhmert, der ein Vater-Sohn-Verhältnis zu Röber pflegt, gilt der Coach schon jetzt als erster Nachfolgekandidat für die Zeit irgendwann nach Otto Rehhagel, und auch andernorts würde man sich gern die Dienste des Coachs sichern.

Mitten im Vorstandskrieg verlängerte Röber seinen Vertrag in Essen jedoch um zwei Jahre. Nun hofft auch er – nicht zuletzt mit Blick auf Dynamo Dresden, das in einem ähnlichen Fall mit vier Punkten Abzug davonkam – auf Milde, wenn der findige Rechtsanwalt Reinhard Rauball die Essener im Einspruchsverfahren beim DFB-Vorstand vertritt. „Vielleicht wird das Urteil ja revidiert.“