■ Das Portrait
: Helmut Salzinger

„Ich pfeife auf dem letzten Loch und wundere mich, daß ich überhaupt noch lebe“, hatte er mir vor einem Jahr geschrieben – zeitlebens war Helmut Salzinger schwer zuckerkrank, am vergangenen Wochenende ist er auf seiner HEAD-Farm in Odisheim 57jährig gestorben. Der Anlaß des Briefs war die Besprechung seines letzten Buchs: „Der Gärtner im Dschungel“, in der taz, die es „als erste und einzige“ überhaupt öffentlich wahrgenommen hatte – für mich eines der lehrreichsten, weisesten und witzigsten Bücher der letzten Jahre. Daß Helmut Salzinger vom Medienbetrieb ignoriert wurde, war nicht immer so. Nach seiner Promotion Anfang der 60er arbeitete er als Literaturkritiker für die großen Zeitungen und Rundfunkanstalten, für die er dann entschieden nicht mehr schrieb und sich auf das flache Land der Wesermarsch zurückzog. Nicht ins Private, sondern nach vorn. Als „Jonas Überohr“ verfaßte er fortan Musikkritiken für Sounds, mit zwei legendären Büchern, „Rock Power“ (1972) und „Swinging Benjamin“ (1973), legte er die theoretischen Fundamente für die deutsche Gegenkultur: in Form eines Plädoyers für die Politisierung der Rockmusik, eingeleitet mit einem Zitat aus Marxens „Kapital“ („Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein besonderes Bedürfnis befriedigt“) – und mit einer Befreiung des subversiven, „swingenden“ Philosophen Walter

Autor Foto: Michael Breer

Benjamin aus den Fängen des blasierten Schickimicki- Akademismus. „Empörender Unfug ...“, befanden die Feuilleton-FAZkes seinerzeit und behielten damit recht: Benjamin blieb Exklusiv-Objekt für Onanisten des Elfenbeinturms, Salzingers Lesart, Benjamin als kritische Praxis (und nicht Theorie) zu begreifen, bis heute ein Geheimtip. Mitte der 70er ging er „ins Moor, um mit den Birken und Bussarden zu sprechen“. Er wollte „den Castaneda verstehen“, ohne „akademisch/anthropologische Studien“. Nach dieser Schreibpause erscheinen in den 80ern sechs Gedichtbände, im Selbstverlag gibt Helmut Salzinger 1984- 87 die Zeitschrift FALK heraus – Geo-Poesie und Essays in der Tradition der Natur- und Zen-Dichter. Er, der einst Charles Bukowski entdeckt und die „Stones“ übersetzt hatte, versuchte nun das Gemurmel von Stock und Stein zu übersetzen. Auf der Wanderung, zu der Helmut Salzinger jetzt angetreten ist, wird er sie endlich verstehen. Mathias Bröckers