Der toreschießende Alltagsphilosoph

■ Edgar Schmitt schoß den Karlsruher SC ins Viertelfinale des Uefa-Cups

Wenn er nach dem Spiel aus der Kabine tritt, dann sieht er mit seiner schwarzumrandeten AOK- Designerbrille und dem Rollkragenpulli aus wie ein Philosophiestudent, der gerade von einem Lacan-Seminar kommt und zu denken scheint: „Ach, wieder ein neuer Tag?!“

Doch die Sorbonne ist weit, und KSC-Torjäger Edgar Schmitt erwartet nur eine 30köpfige Journalistenschar. Die wiederum hängt an seinen Worten, als ob er der Prophet einer neuen Vision sei. Während zwei Etagen höher Professor Winnie Schäfer, der Begründer der „Karlsruher Schule“, nach dem 3:O-Triumph im Achtelfinale des Uefa-Cup gegen Bordeaux das große Ganze im Auge hat, erläutert Euro-Eddie die Details. Gleichsam wissenschaftlicher Mitarbeiter und Seelenverwandter in einem. „Um die Uhrzeit red' ich nur noch Landessprache“, beginnt der Mann aus Dudeldorf (Eifel), der beim ersten Aufeinandertreffen mit Schäfer dachte: „Eijeijei – das ist genau so ein Verrückter wie ich.“ Der nette junge Mann mit den bisher acht Toren im laufenden Wettbewerb will seine Europatournee auf Italien ausdehnen: „Juventus wäre nicht schlecht im Viertelfinale. Den Andi Möller habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“ Damit liegt er schon wieder überein mit Chefdenker Schäfer, der gerade seinen Präsidenten auffordert: „Jetzt besorg' uns in Genf mal Italiener.“

Das Erfolgsrezept der „Karlsruher Schule“ ist ganz einfach, will man Edgar Schmitt Glauben schenken: „Drauf auf die Kiste, und allez hopp.“ Das ist alles? „Na ja, es ist doch immer nur ein Fußballspiel.“ Aber was für Mächte sind im Spiel, wenn der eher sachliche Manfred Bender, wegen einer Gelbsperre zum Zuschauen gezwungen, fast Religiöses von sich gibt: „Kommt der Edgar in der zweiten Halbzeit im Strafraum noch mal an den Ball, ist das Spiel entschieden.“ Ist es Intuition oder Training, wenn fast jeder Schuß innerhalb des 16-Meterraums im Tor landet? „Keine Ahnung“, zuckt der 30jährige die Schulter, „schreibt, was ihr wollt.“

Also gut, es könnte Training sein. In der 16. Minute etwa, als Schmarow einen Freistoß in den Strafraum tritt und Schmitt den Kopf hinhält. Sein französischer Stürmerkollege Paille ist darob so erbost, daß er wenig später KSC- Libero Michael Wittwer abwatscht. Die rote Karte ist der Lohn. Trotz Unterzahl hat Bordeaux jetzt seine stärkste Phase. Zweimal steht Zidane, einmal Dugarry vor dem KSC-Tor, jedesmal hält der bis dahin arbeitslose Oliver Kahn. Kurz nach der Halbzeit beträgt die Distanz zwischen Zidane und der Torlinie nur noch zwei Meter, aber Kahns Schienbein ist schneller. Girondins- Coach Roland Courbis läßt später verwundert übersetzen: „Wenn Kahn die Nr. 3 in Deutschland ist, dann müssen die anderen beiden ja übermenschliche Fähigkeiten besitzen.“

Die Drangphase ist vergleichsweise harmlos zu dem, was Mannschaft und ZuschauerInnen vor dem Anpfiff ertragen mußten. Toni Marschall hatten die meisten noch verpaßt, doch das live vorgetragene KSC-Lied eines vollgetankten Oberfans ließ viele sich mit Grausen abwenden und denken: „Das ist das Ende.“ Von wegen. In der 64. Minute reagierte Sergej Kiriakow am schnellsten, als ein Abwehrspieler den Ball verpaßte und er ihn aus kurzer Distanz zum 2:0 ins Tor drückte. Ja und dann, dann war's doch die Intuition. Den trügerischen Vorsprung hatte gerade Kahn gegen Croci verteidigt, als der KSC-Konter über rechts lief. Die Kugel fiel dabei Schmitt vor die Füße, er stolperte, rappelte sich hoch, schoß den Torwart an, erhielt das Leder wie durch einen Magneten zurück, ein Schritt nach rechts – 3:0. „Das Spiel war (ist) entschieden“, (zit. nach Bender, a.a.O.).

Warum klappt das nicht genauso in der Bundesliga? „Wir können noch nicht so ökonomisch spielen, wie die Spitzenteams der Liga“, sagt Edgar von der badischen Traumtorfabrik. „Unser Spiel ist Powern ohne Ende. Und da haben wir nicht immer die Kraft“, erklärt er, mal wieder in Übereinstimmung mit Winnie Schäfer. „Das Viertelfinale mit dem KSC erreicht zu haben, ist vielleicht mein schönster Erfolg“, sinniert er weiter, „aber mein größter war es, mich mit 28 Jahren als Paar-Mark-Fuffzig-Spieler im Millionenunternehmen Frankfurt durchgesetzt zu haben.“ Was war eigentlich zum Schluß, als er die Franzosen ausgekontert, deren Torhüter umspielt hatte, den Ball auf Kiriakow schob und der Schiri das Spiel abpfiff? „Ich dachte, komm', Kiki, machen wir Feierabend.“ Und was kommt nun? „Am Samstag der FC Jölle und dann dat Christkind.“ Matthias Kittmann