Streit um AKW-Entsorgungsnotstand

Die Mainzer Umweltministerin Klaudia Martini wollte Dauerbetriebsgenehmigung für AKW Mülheim-Kärlich verweigern / Atomminister Töpfer hebt Bescheid wieder auf  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Die Chancen für eine Wiederbelebung des seit über fünf Jahren kalten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich waren gestern zeitweise erheblich geringer geworden. Wegen der „bundesweit und weltweit“ nicht gewährleisteten Entsorgung hochradioaktiver Abfälle verweigert die rheinland-pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) dem umstrittenen 1.300-Megawatt-Meiler die Dauerbetriebsgenehmigung. Doch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) wies die Ministerin gestern nachmittag an, diesen Bescheid sofort wieder aufzuheben.

Mit dem Mainzer Bescheid hatte sich der nukleare Entsorgungsnotstand erstmals in einer atomrechtlichen Regierungsentscheidung niedergeschlagen. „Seit Jahrzehnten produzieren Kernkraftwerke in der Bundesrepublik radioaktive Abfälle“, sagte die Ministerin, „seit 34 Jahren wissen wir nicht, wohin damit.“ Frühere Planungen, etwa bezüglich des im Salzstock Gorleben geplanten Bundesendlagers für hochradioaktive Abfälle hätten sich als „völlig unrealistisch“ erwiesen. Vor diesem Hintergrund sei es „ein Gebot der Vernunft, weitere hochradioaktive Abfälle nicht entstehen zu lassen“, so Martini.

Die vom Atomgesetz verlangte Entsorgungsvorsorge sei für das seit 1988 gerichtlich blockierte AKW Mülheim-Kärlich nicht getroffen, solange das letzte Glied des Brennstoffkreislaufes „nur erhofft“ werde. Verantwortlich für die Misere macht die Mainzer Umweltministerin die Bundesregierung, die die „ihr gesetzlich übertragene Aufgabe“ zur Schaffung eines Bundesendlagers für hochradioaktive Abfälle nicht erfülle.

Die nun verweigerte Dauerbetriebsgenehmigung beruht auf dem insgesamt neunten Teilgenehmigungsantrag der Betreiberfirma RWE Energie AG. Ein Konzernsprecher zeigte sich gegenüber der taz über die Entscheidung „überrascht“. Indirekt bestätigte der Sprecher die Erwartung der Mainzer Ministerin, daß der Essener Konzern gegen den Bescheid klagen werde: Die Entscheidung sei „in vielerlei Hinsicht rechtlich angreifbar“.

Töpfers Weisung hebt die Entscheidung Martinis auf und zwingt die Mainzer Landesregierung außerdem, die endgültige Entscheidung über die Dauerbetriebsgenehmigung „nur nach vorheriger Zustimmung des Bundes zu treffen“. Töpfer befürchtete offensichtlich, andere „atomkritische“ Landesregierungen könnten auf die Idee verfallen, dem Mainzer Beispiel zu folgen und laufende Atommeiler wegen der ungeklärten Atommüllfrage auszuknipsen. Bündnis 90/ Die Grünen lobten gestern Martini für ihre Entscheidung. Die Mainzer Entscheidung eröffnet im Tauziehen um den stillgelegten Reaktor einen neuen Strang. Im Frühjahr muß das Oberlandesgericht Koblenz über Entschädigungsforderungen in dreistelliger Millionenhöhe entscheiden, die der Betreiber RWE wegen rechtswidriger Genehmigungsentscheidungen früherer CDU-Regierungen gegen das Land erhoben hat.

Das Oberverwaltungsgericht Koblenz verhandelt ebenfalls im Frühjahr über die Erdbebensicherheit des Reaktorstandorts am Mittelrhein und damit über die Wiederherstellung der derzeit ausgesetzten, vorläufigen Betriebsgenehmigung.