Weiter Haft für Solingen-Beschuldigte

Bundesgerichtshof sieht weiterhin „dringenden Tatverdacht“ bestätigt / Ermittler ließen sich nicht von der „schwachen Beweislage“ beeindrucken, die selbst BKA-Chef Zachert bemängelte  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Die vier Tatverdächtigen für den Brandanschlag in Solingen bleiben ungeachtet der selbst vom Chef des Bundeskriminalamts geäußerten Zweifel weiterhin in Untersuchungshaft. Bei dem Anschlag waren in der Nacht von 28. auf den 29. Mai fünf Türkinnen getötet worden. Die Haftprüfungstermine hätten den „dringenden Tatverdacht des gemeinschaftlichen fünffachen Mordes“ bestätigt, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Vor Weihnachten wird der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes über die Fortdauer der U-Haft entscheiden.

„Für uns gab es bisher zu keinem Zeitpunkt Zweifel am Tatverdacht der vier Beschuldigten“, heißt es selbstgefällig aus der obersten Anklagebehörde. Insgesamt 17 Stunden dauerten die Haftprüfungstermine des 16jährigen Felix K., des 20jährigen Christian B., des 23jährigen Markus G. und des 16jährigen Christian R. Kurz nach seiner Verhaftung hatte der wenige Stunden nach dem Brandanschlag festgenommene R. zunächst ausgesagt, er habe als Einzeltäter gehandelt. Dann bezichtigte er Skins der Mittäterschaft. Diese Version widerrief er. Nach einer Vernehmungspause bezichtigte er dann unvermittelt K., B. und G. In einem Aktenvermerk stellten die Vernehmungsbeamten klar, daß R. die Namen vom K., B. und G. genannt worden waren. Nicht einmal auf Lichtbildern konnte R. alle drei identifizieren. Trotzdem gingen die Ermittler von Anfang an davon aus, daß K., B. und G., in der fraglichen Nacht zufällig R. getroffen und sich spontan entschlossen hätten, das Haus in Solingen anzuzünden. Daß R. im Rahmen der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens seine letzten Aussagen komplett zurückgezogen hatte und wieder darauf bestand, ganz allein gehandelt zu haben, ignorierten die Ermittlungsbehörden. Sie berufen sich auf ein Geständnis von Markus G., das aber in wesentlichen Punkten den Aussagen von R. widerspricht.

Die beiden anderen Verdächtigen bestritten von Anfang jegliche Tatbeteiligung. Sie gaben auch an, R. überhaupt nicht zu kennen. Deren Rechtsanwälte haben in monatelanger Kleinarbeit die Ermittlungstätigkeit von Bundesanwaltschaft und BKA unter die Lupe genommen. Ihr Ergebnis: Das der Tat unterstellte Motiv, eine Auseinandersetzung am Rande eines Polterabends mit zwei Jugoslawen, habe es nicht gegeben. Zudem können drei der vier Tatverdächtigen unmöglich zum Tatzeitpunkt am Tatort gewesen sein. Die Wohnung, in der sie sich zusammen mit Freunden zur fraglichen Zeit aufgehalten haben, liegt nämich 4,6 Kilometer vom Tatort entfernt.

In der Tat brachten Tatzeit und Wegstrecken die Ermittler vom BKA ins Schwitzen. Um die Version stimmig zu machen, schickten sie sportliche Beamte zum Ortstermin. Hatte eine zügig gehende Beamtin im Anfangsstadium der Ermittlungen noch 63 Minuten für die Wegstrecke zum Tatort gebraucht, benötigte der zuletzt ins Rennen geschickte Beamte nur 40 Minuten. Da auch dies noch nicht reichte, geht man von einem späteren Brandlegungszeitpunkt aus. Nahm die um 1.42 Uhr alarmierte Feuerwehr noch an, daß aufgrund der fortgeschrittenen Brandausdehnung das Haus schon 30 Minuten vor ihrem Eintreffen um 1.47 gebrannt haben muß, geht die Bundesanwaltschaft jetzt von 1.38 Uhr als Brandlegungszeit aus.

Diese und andere Ungereimtheiten, so ist die Frage von Herkunft und Art des Brandbeschleunigers nach wie vor völlig ungeklärt, veranlaßten den Chef des Bundeskriminalamts, Hans-Ludwig Zachert, von einer „schwachen Beweislage“ zu sprechen. „Es wäre besser gewesen, Zachert hätte sich mit uns darüber abgestimmt“, zeigt sich jetzt die Bundesanwaltschaft verstimmt über den BKA-Chef.