Weg nach Mölln war vorgezeichnet

Dreh- und Angelpunkt im Prozeß gegen die Brandstifter von Mölln, die gestern in Schleswig wegen Mordes zu Höchststrafen verurteilt wurden, blieben die vor bzw. zu Beginn der Hauptverhandlung widerrufenen Geständnisse der beiden Angeklagten. Das Gericht hat während der Verhandlung auch intensiv versucht, die Motive für die Anschläge auszuleuchten.

Keine Miene verzogen Michael Peters und Lars Christiansen, als der Vorsitzende Richter Hermann Ehrich im Prozeß um die Morde von Mölln die Urteile verkündete. Peters wurde wegen dreifachen Mordes, mehrfachen Mordversuches und besonders schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt und Christiansen bekam als Heranwachsender die Höchststrafe nach dem Jugendrecht: zehn Jahre. Auch die Begründung des Urteils verfolgten die beiden rechtsradikalen Gewalttäter ohne Regung: Peters fixierte den Vorsitzenden Richter, und Christiansen konzentrierte seinen Blick auf den Tisch vor sich.

Lediglich dem Anwalt des 20jährigen Christiansen, Wolfgang Ohnesorge, war die Erschütterung anzumerken. Beide Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Sie wollen jetzt Revision gegen das Urteil einlegen. Dafür gebe es mehrere Ansätze, meinte Ohnesorge. Die Chancen für eine Revision schätzt der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Klaus Pflieger, dagegen nicht besonders hoch ein; das Gericht war mit seinem Urteil überwiegend dem Antrag und der Begründung der Bundesanwaltschaft gefolgt. Die Anschläge seien vorsätzlich und heimtückisch geschehen. Allerdings erklärte Richter Ehrich, daß das Gericht nicht von der Gesinnung auf die Tat schließe. Die vordergründigen Motive bedürften keiner Begründung angesichts dessen, daß von Türken bewohnte Häuser angezündet wurden und die anschließenden Anrufe bei Polizei beziehungsweise Feuerwehr mit „Heil Hitler“ endeten. Die menschenverachtende Gesinnung, die mit der rechtsradikalen Einstellung verbunden sei, habe eine geringe Hemmschwelle erzeugt, so Ehrich.

Ohne Geständnisse wär's nie zur Anklage gekommen

Akribisch, aber gelassen hatte das Gericht in 45 Verhandlungstagen versucht, die Wahrheit herauszubekommen. Fünf Revisionsspezialisten saßen auf den Richterstühlen, 170 Zeugen und neun Sachverständige wurden gehört. Nachdem zu Beginn der Hauptverhandlung nach Lars Christiansen auch Michael Peters sein Schuldbekenntnis widerrufen hatte, galt es für die Anklage, ein dichtes Netz von Indizien zu spinnen. Denn einen objektiven Beweis für die Schuld gab es nicht.

Dreh- und Angelpunkt blieben die widerrufenen Geständnisse. „Wir sind uns darüber einig, daß es ohne die Geständnisse nie zur Anklage gekommen wäre“, sagte Christiansens Pflichtverteidiger, Wolfgang Ohnesorge, in seinem Plädoyer. Zwar gab es eine Augenzeugin, ein neunjähriges Mädchen, das den Tatablauf in der Nacht beobachtet, zwei vermummte Männer gesehen haben will. Auch erklärte die Gutachterin die Aussage des Mädchens im Kern für glaubhaft, deckten sich doch viele ihrer Angaben mit den – widerrufenen – Geständnissen von Peters und Christiansen. Aber auf die Aussage des Kindes allein, da waren sich Ankläger und Verteidiger einig, konnte sich ein Urteil nicht stützen. Als „Königin der Beweismittel“ bezeichnete Nebenklage- Anwalt Hans-Christian Ströbele die Geständnisse, zumal Peters seines in den Monaten bis zum Prozeßbeginn mehrmals erneuert hatte.

Eine Vorentscheidung fällte das Gericht in den ersten Tagen: Es ließ die Verwertung der widerrufenen Schuldbekenntnisse zu. Christiansens Verteidiger, der Münchner Staranwalt Rolf Bossi, hatte zuvor sehr theatralisch ein Verwertungsverbot gefordert. Die Polizei, so Bossi, hätte sich Gestapo-Methoden bedient und seinen Mandanten einer Gehirnwäsche unterzogen. Doch seine lautstarken Worte stießen bei der „Riege alter Männer“, wie der 70jährige die fünf Richter des Zweiten Strafsenates nannte, nicht auf offene Ohren. Nach dem ausländerfeindlichen Anschlag in Solingen Ende Mai 1993 verabschiedete sich Bossi von der Verhandlung, weil er meinte, daß „jetzt ein Freispruch nicht mehr möglich“ sei. Offen hielt er sich allerdings, bei einer Revision dabei zu sein.

Für die Bundesanwaltschaft, die zum ersten Mal an einem Verfahren gegen rechtsradikale Gewalttäter beteiligt war, enthielten beide Geständnisse eine „lange Liste von Übereinstimmungen“, die zudem reines Täterwissen seien. Die Verteidiger dagegen zählten die Widersprüche in den Geständnissen auf, aber auch die Ungereimtheiten zwischen den verschiedenen Zeugenaussagen zu den Schuldbekenntnissen. Gutachter prüften, ob die Angaben in den Geständnissen sich mit den Gesetzen der Physik und Chemie sowie den Spuren am Tatort deckten. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, daß dies tatsächlich möglich sein könnte.

Auch die Motive für die Anschläge versuchte das Gericht intensiv auszuleuchten. Über mehrere Sitzungstage erstreckten sich die Anhörungen von Zeugen aus der Skinheadszene in Mölln. „Ein Gebräu aus braunem Hirngespinst“ sei während der Verhandlung ans Licht gekommen, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Klaus Pflieger, in seinem Plädoyer. Die meisten der Rechtsradikalen gaben sich jedoch vor dem zweiten Strafsenat betont harmlos. Über Politik sei kaum gesprochen worden. Getroffen hätten sie sich immer nur, um gemeinsam Videos zu gucken und zu trinken. Sicher, von „Ausländer aufklatschen“ hätten sie gehört, auch den Hitler-Gruß kannten sie. Doch an Aktionen beteiligt hätten sie sich nie. Ein Bild von Hitler besäße er schon, aber das habe er von seiner Oma geschenkt bekommen, so behauptete einer der Zeugen dreist.

Das Hauptmotiv: die rechtsradikale Gesinnung

Zwar stellte die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlußplädoyer fest, Hauptmotiv sei die rechtsradikale und neonazistische Gesinnung gewesen. Dennoch schnürte sie gleich ein ganzes Motivpaket. Gründe für die Tat seien auch in der Persönlichkeitsstruktur von Peters und Christiansen zu finden: Beide wollten von den Skins anerkannt werden. Mehrfach war Christiansen als feige oder Weichkeks bezeichnet worden. Innerhalb der rechtsradikalen Gruppe suchten sie eine Nestwärme, die sie im Elternhaus vermißt hätten. Verantwortung trage aber auch die Gesellschaft: „Die öffentliche Stimmung bereitete den Weg nach Mölln. Gleichwohl dürfen wir nicht Täter zu Opfern machen“, erklärte Oberstaatsanwalt Pflieger in seinem Plädoyer.

Die Politik klammerte der Zweite Strafsenat nicht aus. Zwar lehnte das Gericht einen Antrag Ströbeles ab, mit der Ladung von Bundesverteidigungsminister Volker Rühe die Zusammenhänge zwischen ausländerfeindlichen Gewalttaten und der Verantwortung der Politik aufzuzeigen. Aber es erkannte den Film „Wer Gewalt sät...“ als Beweismittel an. Die Fernsehdokumentation schildert das politische Klima in Deutschland im Herbst 1992 und die Ursachen für die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock im August desselben Jahres. Eine kleine Sensation, meinte Ströbele. Dennoch schloß sich das Gericht weitgehend der Auffassung der Bundesanwaltschaft an, wonach der Strafprozeß nicht zum Werkzeug der Politik verkommen dürfe. Kriminalität habe immer individuelle und gesellschaftliche Ursachen, erklärte Pflieger. Wer glaube, das Gericht könne einen Anstoß zur Veränderung geben, der verkenne dessen Aufgaben. Der Strafprozeß diene der Aufarbeitung eines Verbrechens.

Lob bekam das Gericht vor dem Urteil von den Prozeßbeteiligten: Trotz aller Härte habe man sich gegenseitig respektiert, sei offen und aufrichtig miteinander umgegangen, schmeichelte Pflieger. Gerechtigkeit sei für die Öffentlichkeit nachvollziehbar und transparent geworden. Es sei eine faire Verhandlung gewesen, betonten auch die Verteidiger. Kersten Kampe, Schleswig