Arbeit macht immer mehr Menschen krank

■ Amt für Arbeitsschutz legt Bericht vor / Mineralfasern krebserregend

Nach Asbest stehen jetzt auch die künstlichen Mineralfaserprodukte (Keramikfasern, Glas- und Steinwolle) im Verdacht, krebserregend zu sein. In Hamburg wurden im vergangenen Jahr 258 Patienten mit Asbestose (Verhärtung des Lungengewebes) registriert, 1990 waren es noch 205. Und an Lungenkrebs in Verbindung mit Asbestose erkrankten im Vorjahr 75 HamburgerInnen (1990: 52). „Ein tragisches Beispiel für eine verfehlte und durch Bagatellisierung gekennzeichnete Gefahrstoffpolitik“, erklärte Sozialsenator Ortwin Runde gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts des Hamburger Amts für Arbeitschutz.

Daß der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz weiterhin ein Stiefkind ist, belegen die Zahlen des Hamburger Amtes deutlich: Danach ist in der Hansestadt ein genereller Anstieg von Tumor- und Allergieerkrankungen zu verzeichnen, die durch berufliche Tätigkeiten auftreten. Besonders alarmierend: Nach Schätzungen der Berliner Bundesanstalt für Arbeitsmedizin liegt der Anteil von beruflich verursachten Tumoren bereits bei 30 Prozent aller Krebserkrankungen.

Aber auch die Atemwegskrankheiten nehmen zu: Bei den „chemisch-irritativen“ Erkrankungen wuchs die Zahl 1992 auf 111 an (1990: 62), bei den allergischen von 95 auf 103. Schwere Hauterkrankungen, die sogar eine Aufgabe des Jobs zur Folge hatten, traten in Hamburg noch häufiger auf: Waren es 1990 noch 447 ArbeitnehmerInnen, mußten 1992 schon 460 aus diesem Grund ihren Beruf wechseln.

Daß auch künstliche Mineralfaserprodukte krebserregend sind, wurde jetzt in Tierversuchen nachgewiesen. Ein Grund zur Panik besteht aber laut Ortwin Runde nicht. Gefährdet seien Arbeiter in Herstellungsbetrieben und auf großen Baustellen. Sachgerecht eingebaute und gut abgeschirmte Mineralfasern in Innenräumen sollen keine großen Gesundheitsgefahren bergen, sofern möglichst staubfrei und mit Staubmasken gearbeitet würde. Weitaus gefährlicher, so die Toxikologin Irene Tesseraux aus der Gesundheitsbehörde, seien Keramikfasern, die beim Ofenbau und bei Hitzeabfangtechniken verwendet werden. Über die Einführung strenger Arbeitschutzbestimmungen im Umgang mit künstlichen Mineralfaserprodukten wollen sich die Länder noch in diesem Jahr verständigen, kündigte der Sozialsenator an.

Auch die Zahl der Arbeitsunfälle ist im vergangenen Jahr leicht angestiegen: Bei 13.401 Unfällen kamen 23 Menschen ums Leben. Eine echte Negativbilanz mußte das Amt für Arbeitschutz auch nach seinen unangemeldeten Kontrollgängen in Hamburger Betrieben ziehen – es förderte bei 23.000 Besichtigungen 20.000 Mängel zutage. Übrigens: Die Behöde sichert Arbeitnehmern, die Mängel in ihrer Firma anzeigen wollen, absolute Anonymität zu. Sannah Koch