: Leckmich-Sound -betr.: "taz vom 8.12.93"
Betr.: „taz vom 8.12.93,
Lieber Manfred Dworschak, Als Lacher hast Du mich seit Jahren oft und gerne auf Deiner Seite. Und was alles so als Kunst und Künstler herumsteht und -rennt, ist wirklich nicht immer der Hit und bedarf sicher oft der von Dir zu Recht vehement verteidigten Kulturkritik, inhaltlich bin ich da gar nicht so selten Deiner Ansicht. Aber in meinem Brief an Dich ging es ja in erster Linie auch nicht um die Kunst im öffentlichen Raum, die Du bei dieser Gelegenheit gleich wieder seitenbreit betrauerst, sondern um Deinen Stil und Umgang mit allen möglichen Kunstrichtungen und Kulturschaffenden. Ich meine, daß die taz, die oft genug blauäugig und unwissend einfach (oder sogar mehrfach) drauflosberichtet oder - interviewt (Beispiele: das „Sturm“- Schauspielstudio im Schlachthof oder Dein „Event-Marketing“-Interview), an anderer Stelle wiederum ein bißchen blind und unverhältnismäßig hart dreinschlägt: Deine Beiträge zum grassierenden Festival-Phänomen sind ja voll berechtigt. Dein Umgang mit den Problemen „alkoholkranker Komantschen“ oder mit „polnischer Seefahrerlyrik“, mit denen Du da Deine Scherzchen treibst, werden aber jedenfalls der von Dir beanspruchten „Kulturkritik mit Herz“ oder einem (kultur-)politischen Anspruch Deiner taz genausowenig gerecht wie das Auflisten der 20 blödesten Sätze eines mehr oder weniger begnadeten Schriftstellers anstelle einer Rezension. Am DAB gäbe es vielleicht eine Menge zu kritisieren, wenn man mal genau nachguckt. Aber die Leute und ihre Veranstaltungsreihe und deren Künstler auf Kosten Deiner heißgeliebten Lacher im „Leck' mich!“- Sound als idiotisch abzufeiern, finde ich mindestens unangemessen. Daß die „Inhalte und Ideen“ in der Kulturkritik und in der Finanzierung von Kultur allzuoft eine bestimmendere Rolle spielen als das endliche „Werk“, ist bestimmt eines Nachdenkens und harter Kritik wert – fragt sich nur, ob die sich nicht vor den Künstlern erst einmal an die vielen schlauen Feuilletonisten und Politiker und Kulturbeamten richten müßte. Du setzt Dich aber für die zitierten und viele andere Deiner Beiträge eben gerade nicht einem fertigen „Werk“ zur Beurteilung und Verriß aus, sondern erklärst aufgrund eines Titels, einer Pressemitteilung (oder auch mal einer Laune oder einem höheren kulturpolitischen Ziel folgend) die Leute zu Idioten, Trotteln, Deppen, die lallen, schwanken, „plempeln“, herumposaunen bzw. -irritieren und was sonst noch alles. Für ein Theaterstück, ein Buch oder eine Musikveranstaltung bräuchte man natürlich ein bißchen mehr Zeit und Lust als für ein paar „blaue und gelbe Stangen“, die sich schon in wenigen Minuten Deiner kostbaren Kulturredakteurs-Zeit herzlich schwachsinnig finden lassen. Daß Du aber auch noch glaubst, ich würde meine Fantasie ausleben, indem ich mich mit Hansgünther Heyme (dem ich bekanntlich in inniger Liebe zutiefst verbunden bin) identifiziere und ihn nun gegen die taz verteidige, das nenne nun wieder ich eine ziemlich idiotische Fantasie. –91 hast Du Heyme als den quasi heiligen „Theaterberserker“ sonderseitenfreudig gefeiert, der den Bremern schon zeigen wird, wie Theater geht. Guck mal im Archiv nach! Daß Deine Theaterkritiken zu seinen Inszenierungen geprägt waren von der kulturpolitischen Quengelei um ihn, daß Du –92 bestimmte „Nachrichten“ in bestimmten Zusammenhängen erfahren und sie zu bestimmten Terminen passend in Deiner taz veröffentlicht hast, das schien mir vielleicht nur so. Ich habe Dir einen Brief geschrieben, weil ich hoffte und dachte, Ihr Journalisten möchtet ab und zu mal ein Feedback zu Eurer Arbeit, und weil ich diese Auseinandersetzung manchmal ganz spannend finde. Du möchtest „zu einem Deppen einfach Depp!“ sagen. Na ja. Bloß wenn einer Dich einen Deppen nennt, ist das gleich „vernichtend“, wird eine „Debatte“ draus und er kriegt –ne volle Breitseite Feuilleton. Mir scheint das leicht übertrieben.
Carsten Werner
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