Village Voice
: Bevor die Party zu Ende ist

■ „Welcome to Muthaland“ von den Crunchmuthas

Allzu große Pfiffigkeit kann man den Berliner Musikanten leider nur selten vorwerfen. Auch die Crunchmuthas haben den Zug, auf den es sich aufzuspringen gelohnt hätte, erst auf dem Fahrplan entdeckt, als der den Bahnhof schon wieder verlassen hatte. Tatsächlich hat er in der Provinz wahrscheinlich auch gar nicht erst gehalten. Der Intercity namens Metal, von dem hier die Rede ist, macht immer noch vornehmlich im Angloamerikanischen halt.

Bis Jahresfrist waren die Crunchmuthas eine jener Kapellen, die genauso aussehen wie die komplette Besetzung von Kneipen wie dem Madonna oder dem Sexton ab sechs Uhr morgens. Und spielten Musik, die sich so anhörte, wie sie aussahen. Von Punkrock und Hardcore kommend, hatten sie – schon damals etwas hinter den Zeitläuften hinterher – die weniger matschigen und härteren Strukturen des Metal entdeckt und es den Kreuzberger Kumpels von Jingo de Lunch oder Eggmen Five (denen in der Thanx-List gedankt wird) nachgetan. Zum Erfolg in Jingo-Dimension fehlte ihnen die charismatische Sängerin mit der erinnerungswürdigen Stimme. Von den anderen Kumpels Plan B (auch Thanx-List) fehlte ihnen das Pop-Bewußtsein und wohl auch deren Radio-Kontakte. Aber immerhin ragten sie aus der grauen Berliner Metal- Sumpflandschaft durch ein ausgeprägtes Gefühl für satt stampfende Riffs und dem Genre angemessen hübsche Melodien hervor. Nichts für die Ewigkeit, aber es hatten wahrlich schon schlechtere Bands Gitarren umgeschnallt. Nur der Zug, in dem die Crossovers sich in der ersten Klasse lümmeln, war längst auf großer Fahrt.

Und dann fängt „Welcome to Muthaland“ so an. Als wollten sie ganz unmißverständlich klarmachen, daß das friedefreudeeierkuchende Rumgerocke nun zu Ende ist, kommt „Wooden Hut“. Ein klasse, knorke, feist schwingendes Stück Funk-Metal mit Rap-Einlagen, das Faith No More samt ihren weinerlichen Keyboards auf den Boden des Schrottplatzes zurückholt. Da stehen dann schon die Red Hot Chili Peppers, und die Crunchmuthas biegen gerade um die Ecke, bevor die Party zu Ende ist. So geht's dann fröhlich weiter: „Candyman“ könnte von der nächsten Metallica sein, so schneidend reduziert auf ein kleines bißchen Gitarrenknarzen, konterkariert mit einem ausufernden Schweinesolo. Es folgt „All in All“, bei dessen Refrain Bon Jovi vor Freude weinen würde. Dann eine Ballade, sie heißt „Rain“, mit herrlich desperater Gitarre und jeder Menge Schmelz, dabei den Schmalz in Grenzen haltend. Und munter weiter wird das Genre ausgeleuchtet; Scheinwerfer in jede Ecke.

Da stört auch nicht die völlig überflüssige Coverversion. „Sign 'O' The Times“ beweist nur, daß dieser Song auch funktioniert, wenn man die vielleicht genialste Bassline aller Zeiten brav in ein Gitarrenriff transformiert. Das spricht für den Song, aber nicht gerade für die Phantasie der Crunchmuthas. Würde allerdings wiederum auch nicht unangenehm auffallen, wenn man das Prince-Original nicht kennen würde. Aber wer tut das schon?

Bevor ich mich aber ganz überschlage: zu den Texten. Ich bin des Englischen auch nicht hundertprozentig mächtig und habe trotzdem alles ohne Wörterbuch verstanden. Ob das nun gut ist, sei mal dahingestellt. Immerhin haben sie sich mehr Mühe mit der Politik gegeben, als nur blutige Nazi-Nasen in stimmungsvolle Refrains zu packen. Man übt sich in der Analyse, wie es zur fremden und eigenen Wut gekommen ist, landet aber doch allzuschnell bei US-Kulturimperialismus und Auswanderungsgelüsten. Und wie die Crunchmuthas so ganz ohne High-Tech weiter elektrisch verstärkte Rockmusik machen wollen, würde ich auch gern mal erfahren.

Doch auch die anderen Issues wollen abgearbeitet werden, vom Liebeslied bis zum „Ich war im Knast“-Song. Aus dem Rahmen fällt hier nur „Why Mama“. Ein Text aus der Sicht einer erwachsenen Frau, über sexuellen Mißbrauch, den sie in ihrer Kindheit erlitten hat. Vielleicht nur konsequent, wenn ein Mann versucht, sich da einzudenken, aber trotzdem traurig, daß der Täter dabei nahezu außen vor bleibt und die Schuld auf die Mutter abgeladen wird, die nicht verhindert hat: „Why did you allow it / He stole my childhood.“

Zurück zum Zug. Vielleicht haben die Crunchmuthas ja gar noch den vorbeirauschenden Tender in voller Fahrt erwischt. Aber allzu oft ist Erfolg keine Frage von Qualität. Wer zuerst kommt, malt halt auch zuerst. Thomas Winkler

Crunchmuthas: „Welcome to Muthaland“, Major Records/ Rough Trade