Nicht nur Rüben oder Wände

Ortsbesichtigung: Das carrousel Theater an der Parkaue, ein Kindertheater will erwachsen werden  ■ Von Petra Brändle

Grau ist die Fassade, der Putz bröckelt ab, die Architektur ist verwinkelt. Von der Seite, von dort, wo die Besucher empfangen werden, ist das Theater mit dem melodischen Namen ein Irgendwas zwischen Bunker und Schloß. Von vorne jedoch protzt das „carrousel Theater an der Parkaue“ mit weißem Putz; gelbgoldene Fassadenmalerei gibt dem Haus einen festlichen Anstrich. Ein Theater mit einer Theaterkulisse – dem Senat sei Dank. Er nämlich finanziert die einstige Kinder- und Jugendspielstätte „Theater der Freundschaft“ seit 1991 mit 12,6 Millionen Mark jährlich. Der Seitenflügel und Anbau des Gebäudes ist weiterhin Eigentum des Bezirks Lichtenberg – und der hat kein Geld für Putz.

Doch bei Vorstellungsbeginn ist es schon dunkel, und alles drängt nach innen. Zur „Schwarzen Nacht I“. Von 18 Uhr bis 24 Uhr stehen acht Inszenierungen auf dem Programm. „Jugendliche“ und „junggebliebene Erwachsene“, wie das Zielpublikum so schön abgegriffen im hauseigenen Mitteilungsblatt charakterisiert wird, strömen ins Haus. Unter die mit ersten grauen Haaren mischen sich vor allem gerade Pubertierende. Sie stehen im Kreis, klügeln aus, welche der drei jeweils parallel laufenden Vorstellungen sie wann sehen wollen. Die Stimmung ist gespannt, schlägt in Ungeduld um, als Viertel nach sechs noch immer nicht zum Auftakt gerufen wird.

Ein junges Publikum, das hat die carrousel-Besatzung inzwischen erfahren, ist sehr ungeduldig, manchmal auch gnadenlos. 420 Kinder in einer ausverkauften Vormittagsvorstellung brauchen große Gesten, um von der Bühne aus gebändigt zu werden. „Unbeschadet kann man das eigentlich nicht überstehen, wenn man ausschließlich Rüben oder Wände auf der Bühne darstellen muß“, meint Peter Schroth, der ehemalige Leiter des Regieinstituts und Studiotheaters BAT, der mittlerweile Chefregisseur am carrousel Theater ist. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb die Truppe um den Jungintendanten Manuel Schöbel seit 1991 die Ausdehnung des Repertoires auf Erwachsenentheater anstrebt.

Der Sprung vom Kinder- und Jugendtheater zum kommunikationsfördernden „Generationentheater“, wie es Peter Schroth ausdrückt, ist gelungen. Im Abendspielplan wurden die Erwachsenen aus ihrer Rolle der bloßen Begleitperson entlassen. Die Auslastung von rund 80 Prozent zeigt, daß das Theater seinen Platz in der Berliner Theaterlandschaft hat – auch wenn die Kinder- und Schulvorstellungen mit einer neunzigprozentigen Auslastung noch Schwerpunkt des Programms sind. Doch Schroth setzt auf die Nachwirkung: Diejenigen, die heute als Schüler ins carrousel kommen, sollen dem Theater auch später treubleiben. Ein Kampf um mehr Publikum, den nach der Schließung des Schiller- und Schloßparktheaters auch und gerade ein Staatstheater dringend nötig hat.

Bereits zum zweiten Mal wurden die „Schwarzen Nächte“ veranstaltet, Teil II mit Stücken von Dario Fo und Franca Rame ist neu hinzugekommen, weitere Wiederholungen sind geplant. Zu Teil I gehören neben „Jubiläum“ von Tabori auch „Antigone“ von Sophokles und „Der Indianer will zur Bronx“ von Israel Horovitz auf den Hauptbühnen zum Programm. Außerdem werden Gedichte von Brecht und Volker Braun vorgetragen, es gibt ein „Kabarett zum Heulen“ (eine szenische Montage) sowie ein Kästner-Programm. Die Themen sind Deutschland, Macht, Mut, Widerstand, Jugend und (rechtsradikale) Gewalt.

So unterschiedlich wie die Texte sind auch die Regiestile. „Jubiläum“ (Regie: Peter Schroth) steht im besten und intelligentesten Sinne in der Tradition des Volkstheaters. „Antigone“ wurde von Sewan Latchinian dagegen klassisch-geradlinig inszeniert. Regisseur Dietrich Kunze hingegen will die „Sprache“ der Kids in „Der Indianer will zur Bronx“ auch optisch umsetzen: Die Zuschauer sitzen auf der Drehbühne, während Graffiti und aggressive Rollerskater um sie herumwirbeln.

1992 manifestierte das Haus den konzeptionellen Wandel mit der Umbenennung vom „Theater der Freundschaft“ in „carrousel Theater an der Parkaue“. Ein Abschied von der DDR-Vergangenheit? Bei aller „Verquickung von Kunst und Pädagogik“ (wie es im hauseigenen „Parkblatt“ heißt) und der Theater-Beschickung durch die Freie Deutsche Jugend – Intendant Manuel Schöbel ist auch stolz auf die Tradition des Hauses. Warum auch nicht? Immerhin gehören Künstler wie Hilmar Thate, Ruth Berghaus, Jutta Hoffmann und Walter Plathe zur Geschichte des Theaters. Mit dazu gehört auch ein sehr weiter Begriff vom Kindertheater: Auf dem ersten Spielplan von 1950 stand Schillers „Luise Millerin“. Jetzt werden auch Shakespeare-Dramen für Kinder adaptiert. Demnächst neu im Spielplan: „Der kleine Prinz von Dänemark“ nach „Hamlet“ und die „Sommernachtstraum“-Variante „Rose und Regen, Schwert und Wunde“. Und für die Jugendlichen, die gerade die Qualen der ersten Liebe erfahren: „Romeo und Julia“.

Dennoch drängt sich bei so viel Klassik der Verdacht auf, das Ensemble inszeniere Schulstoff, um die Besucherreihen zu füllen. Doch dem Prinzip „Warenhaus Schulstoff“ setzt Schroth ansonsten einen Spielplan entgegen, der das Theater für die Jugend zur politischen „Heimat“ werden lassen soll. Freilich weiß er, daß er im Theater niemanden „bekehren“ kann, wohl aber könne er „Kraft geben“ zum Weitermachen, zum Engagement gegen rechtsradikale Entwicklungen. Sein Traum ist ein „Risikotheater“, Benno Besson und George Tabori sind seine Vorbilder. Schroth versteht Taboris Theater als einen Ort der Pein, „der produktiven Irritation“. Und in Aufführungen wie der von Taboris „Jubiläum“, wenn Groteske und Grauen zusammenfallen, wird dieser Anspruch im carrousel Theater auch darstellerisch im besten Sinne erfüllt.