„Das ist jedesmal Todesangst für den Paul“

■ Zweiter Prozeßtag in Sachen Schloßbrücke / Polizist würdigt Eltern der getöteten Kinder vor Gericht keines Blickes / Zeugenaussagen sprechen gegen den Fahrer

Die Vorwürfe gegen den Polizisten Mike W., der fahrlässig zwei Kinder getötet und drei Erwachsene schwer verletzt haben soll, wurden gestern am zweiten Prozeßtag verfestigt. Zeugen sagten vorm Moabiter Strafgericht aus, der verunglückte Einsatzwagen sei am 6. März „unangemessen schnell“ die Karl-Liebknecht- Straße entlanggefahren, bevor er auf Rollsplitt ins Schleudern kam und in die Fußgängergruppe auf der Schloßbrücke raste.

„Die beiden sind nicht mehr wie vorher“, sagte die 32jährige Mutter der Toten über ihre älteren Kinder, die den Unfall körperlich unverletzt überlebten. Leise sprach Ursula S. vor der 16. Großen Strafkammer des Landgerichts über die psychischen Folgen für die Geschwister der Getöteten: Auf Sirenengeheul reagierten die neun- und elfjährigen Kinder noch immer heftig, „das ist jedesmal Todesangst für den Paul“.

Nur einen guten Meter hinter der Mutter saß der Angeklagte, der 31jährige Mike W. Obwohl er die Eltern zum ersten Mal seit dem Unfall traf, sah er weder zur Mutter noch zum 37jährigen Vater auf. Dieser ging mit einer Krücke zum Zeugenstuhl und zählte auf: Seine Milz mußte entfernt werden, in die Lunge trat Flüssigkeit ein, das Becken war dreimal gebrochen, Kapsel und Bänder im rechten Knie wurden zerstört. Wegen anhaltender Lähmungen ist er noch arbeitsunfähig. Als er den Raum verließ, sah er zum Angeklagten – Mike W. aber vermied den Blickkontakt. Am Montag hatte er noch sein Bedauern geäußert, daß er den Eltern sein Mitgefühl noch nicht ausdrücken konnte.

Fahrlässigkeit während der ganzen Fahrt versuchen die Vertreter der Eltern, die Nebenkläger sind, dem Polizisten nachzuweisen. „Er hat sämtliche Vorsichtsmaßnahmen unterlassen“, so Rechtsanwalt Thomas Wilhelm zur taz. So sei Mike W. „mit hoher Geschwindigkeit gegen die Einbahnstraße“ vom Hackeschen Markt durch die Burgstraße zur Wilhelm-Liebknecht-Straße gefahren, „obwohl er auch gleich die Spandauer nehmen konnte“. Zeugen hatten den Bus bereits dort schleudern sehen.

„Unangemessen hohe Geschwindigkeit“ warf dem Angeklagten auch ein Zeuge vor, der auf der Gegenspur der Schloßbrücke im Stau gestanden und das Herannahen und Schleudern des VW- Busses daher gesehen hatte. „Vom ersten Sehen des Funkwagens bis zum Unfall, das waren vier, höchstens fünf Sekunden“, sagte er bestimmt. „Ich bin Fallschirmspringer, ich weiß, was in vier Sekunden passiert.“ Auch ein 31jähriger Biologe sagte aus, daß der Polizeibus „sehr schnell“ gefahren sei. Das voranfahrende Auto sei „mindestens 60 gefahren, der Bully hat ihn dann überholt.“ Er habe an eine Verfolgungsjagd geglaubt.

Verteidiger Jürgen Fleck beantragte gestern, einen Polizisten zu laden, der entgegen der Aussage des Beifahrers von Mike W. bezeugen könne, daß eine Fahrt mit Sonderrechten angeordnet gewesen sei. „Das entbindet den Fahrer nicht von seinen Pflichten“, wiegelte Staatsanwalt Sanders entschieden ab. Auch mit Blaulicht sei es „der Fahrer, der weiter die Verantwortung trägt“. Christian Arns