Wer hat Anschlag auf Nemera Desisa verübt?

■ Feuerwehr rettete äthiopischen Querschnittsgelähmten vor den Flammen in Marzahn / Polizei: „Technischer Defekt“

Der ganze Flur des achtstöckigen Plattengebäudes in der Märkischen Allee in Marzahn ist mit Ruß überzogen. Zwischen den Wohnungen 206 und 207 löste die Hitze den Putz von der Wand. Hier stand bis gestern morgen um acht Uhr der neue elektrische Rollstuhl von Nemera Desisa. Kurze Zeit später lag das Gefährt des Querschnittsgelähmten, zu einem schwarzen Knäuel zusammengeschmolzen, vor der Eingangstür im Regen.

Nemera Desisa hat Glück gehabt. Die Feuerwehr zog den noch schlafenden 36jährigen mit Atemschutzgerät aus seinem Bett und brachte ihn vor den Flammen in Sicherheit. Seine Frau Simona und die beiden Kinder Sarah, 9, und Ephraim, 11, waren bereits außer Haus.

Nach Ansicht des zur Zeit arbeitslosen Diplomökonomen, der aus Äthiopien stammt und seit 1990 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist der Brand seines Rollstuhls der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Drohungen und Anschlägen gegen ihn und seine Familie. „Im Flur standen vier Rollstühle. Nur meiner hat gebrannt“, so Desisa gestern vormittag gegenüber der taz. Den Schuldigen vermutet der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland (ABiD) und stellvertretende Vorsitzende des Deutsch-Afrikanischen Zentrums Berlin eine Tür weiter. Desisa: „Mitte 1992 kam mein Nachbar und sagte, er sei jetzt Nazi. Dann ging es los.“ Von da an habe es immer wieder Zwischenfälle gegeben, von verbalen Drohungen bis zu Beschädigungen seines Autos und Rollstuhls. Nach zwei solcher Aktionen habe er seinen Nachbarn angezeigt: am 3.Oktober 1992, nachdem dieser versucht habe, die Tür aufzubrechen, und am Buß- und Bettag 1993 wegen einer Morddrohung.

Am schlimmsten sind für Nemera Desisa die Drohungen gegen seine Kinder. „Ich bin hilflos und kann meine Kinder nicht beschützen.“ Diese hätten sich schon einmal in das Nachbargebäude zu Freunden geflüchtet, weil der „Nazi“-Nachbar ihnen den Weg in die Wohnung versperrt habe.

Die Polizei sieht den gestrigen Vorfall allerdings anders. Die Kripo sagte der taz, ein „technischer Defekt“ am Rollstuhl sei „nicht auszuschließen“. Allerdings leitete sie erst am Nachmittag entsprechende Schritte ein und stellte den Rollstuhl sicher. Über weitere Ermittlungen war bis Redaktionsschluß nichts zu erfahren.

Ein Experte in Sachen Rollstuhlbau ist David Goldstein von der Firma Kubatsch und Rühlmann. Für ihn ist eine Selbstentzündung eines solchen Fahrzeugs „extrem unwahrscheinlich. Ein Kabel kann durchschmoren, aber davon brennt der Rollstuhl nicht. In 20 Jahren habe ich noch nie von so etwas gehört.“

Der von Desisa beschuldigte Nachbar war gestern nicht anzutreffen. Über die Vorkommnisse auf dem Flur – Desisa ist dort der einzige Schwarze – war auch vom Hausmeister nichts zu erfahren („Ich sag' überhaupt nix“). Ein Nachbar meinte: „Machen Sie bloß kein Ding draus. Wir regeln unsere Probleme schon selbst.“

Ausziehen kann und will Desisa, der erst seit zwei Jahren in dieser Wohnung lebt, nicht. „Behindertengerechte Wohnungen sind schwer zu kriegen. Schon wieder umziehen wäre außerdem zu teuer.“ Martin Hörnle