Ein Fußball-Schauspiel

■ Werder Bremen gwinnt nach einem 0:3-Rückstand noch 5:3 gegen den RSC Anderlecht in der Champions League

Bremen (taz) – Es gibt durchaus Fußballspiele, die ausgehen, ohne daß der Ball seinen Weg ins Tornetz gefunden hat. Dann wiederum ist es verhältnismäßig viel, wenn es sich Eintracht Frankfurt zur Gewohnheit macht, in der Bundesliga 0:3 zu verlieren. Acht Tore in einer Partie besitzen Seltenheitswert. Zumal, wenn sie fallen, als ob ein gewiefter Dramaturg vorab die Chronologie festgelegt hätte.

Wie begossener Pudel saß Otto Rehhagel auf der Bank des Weserstadions. Es goß in Strömen, aber der Bremer Trainer schien die Wasserpfützen um sich herum nicht zu registrieren. Versteinert verfolgte er das Spiel seiner Mannschaft, deren Hoffnung auf ein gutes Abschneiden in der millionenschweren Champions League mit dem Regen davon zu schwimmen schien. Bis zur 66. Minute. Drei Tore Vorsprung hatte der 22fache belgische Meister RSC Anderlecht herausgespielt. Dann kam der Umschwung, eingeleitet von Wynton Rufer. Und in den folgenden 24 Minuten gaben sich die bis dahin arg bedröppelten Bremer mit nicht weniger als fünf Toren zufrieden. 5:3 endete das erste Heimspiel des Deutschen Meisters im Europapokal. Die Katastrophe, der die Gastgeber schon entgegenschwammen, wurde zum Desaster für die Gäste. Und Bremen feierte ein Happy-End, das die sonst für ihre unterkühlte Nüchternheit bekannten Menschen aus dem hohen Norden nur angesichts der geschickten Inszenierung so richtig zu schätzen wußten.

Wynton Rufer, der bekanntlich gerne den Beistand von ganz oben zu empfangen pflegt, brachte den gesamten Spielverlauf am besten auf den Punkt, indem er nach dem Abpfiff barfüßig einen Kopfstand fabrizierte. Dergestalt auf den Kopf gestellt, wurde auch die gemeinhin zelebrierte Antipathie zwischen fußverliebten und kopflastigen Kulturschaffenden. Nach der Partie entschloß sich der Intendant des Hamburger Thalia-Theaters, Jürgen Flimm, spontan, Mitglied des SV Werder Bremen zu werden. Der Grund ist naheliegend: „Ich hätte die Inszenierung nicht besser bewerkstelligen können.“ Na, wer sagt's denn! Von wegen bloß Fußball.

Sein Freund Rehhagel pflicht dem Theatermenschen bei: „Es war ein ganz außergewöhnliches Spiel. Schrecklich, wenn es derartige Ergebnisse nicht geben würde. Einmalig, was sich hier abgespielt hat.“ Johan Boskamp witterte aber nicht nur Bremer-Schauspiel-Allianzen, sondern gar heimliche Geisterbünde: „Mir kam es vor, als wenn ein Nachtgespenst unser Spiel zerstört hat.“ Und RSC-Kapitän Albert meinte, ein Maschinist habe seine Finger im Spiel gehabt: „Wir wurden von einer Bremer Walze überrannt.“

Nach Treffern der Belgier Albert (16.) und Boffin (18./33.) machten die Tore der Werder-Profis Rufer (66./89.), Bratseth (72.), Hobsch (80.) und Bode (83.) das dramaturgische Wunder an der Weser vor 29.000 euphorischen Zuschauern perfekt. Selbiges hat sich auch in barer Münze ausgezahlt: Werder kassierte die ersten Punkte und 1,1 Millionen Mark Siegprämie von der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Was Manager und Marathonmann Willi Lemke dazu verleitete, sich zu fühlen wie „auf Wolke sieben“. Und hoch oben, naturgemäß den Problemen des Alltags enthoben, visierte Willi Lemke gleich neue, selbstredend, hochfliegende Ziele an: „Das Halbfinale ist jetzt zu schaffen.“

Den AnhängerInnen derartiger Sportkultur sei noch mitgeteilt, der nächste Europapokal-Vorhang im Bremer Weserstadion fällt am 16. März (in der Inszenierung gegen den AC Mailand) sowie am 30. März (Schauspiel mit dem FC Porto). coh