Feuer im Maschinenraum

Richard Thompson, Mitbegründer von Fairport Convention, erlebt eine kleine Renaissance: Ex-Punks, die aus eigener leidvoller Erfahrung historisch zu denken gelernt haben, finden den Mann plötzlich gut!  ■ Von Jörg Feyer

Die Vorstellung, daß andere seine Songs aufnehmen, behagt ihm nicht. Er sei, sagt Richard Thompson, geschmeichelt und verwirrt zugleich. Zudem haben Fremdinterpretationen ein Eigenleben. „Es ist“, sagt Thompson, „als ob man seine Kinder für ein paar Jahre jemandem anders überläßt. Und wenn sie dann wieder zurückkommen, sehen sie anders aus, sprechen eine andere Sprache, haben eine andere Persönlichkeit entwickelt. Und du denkst: Oh – das sollen meine Kinder sein!?“

Dieses Gefühl der Entfremdung dürfte ihm weitgehend erspart bleiben, sollte er sich „The World Is A Wonderful Place“ anhören, den ersten, längst überfälligen Tribut an den ehemaligen Mitbegründer der britischen Folk-Rock-Pionier-Band Fairport Convention. Denn während sich Richard Thompson in den Achtzigern mit Hilfe eines genialen US-Produzenten (Mitchell Froom) durch eine immer weiter verknappte Songsprache stetig von seinen „Roots“ als Storyteller absetzte (was ihm von seinem alten, wohl etwas neidischen Mentor Joe Boyd schon mal den Vorwurf einbrachte, er wolle nur noch den „Guitar-Hero“ spielen), schreiben nicht wenige der heutigen Bewunderer seine Songs in eben diesem tradierten Folk-Kontext fest – oder führen ihn gar dorthin zurück.

Zuviel Ehrfurcht vor Original und Autor? Jedenfalls gelingt dies nicht immer so exemplarisch gut wie der dreiköpfen The House Band (die heißen wirklich so) mit „Pharao“, einem Song aus dem Achtziger-Album „Amnesia“, in dem der auch spirituell geschulte Thompson das Sklavensystem des alten Ägypten in aktuellen (Wirtschafts-) Machtkonstellationen wiederentdeckte. Der zwar nicht immer werk-, aber doch durchweg traditionstreue Ton der Compilation dürfte nicht zuletzt daher rühren, daß hier vor allem britische Künstler am Werk sind; Verehrer, die, wenn nicht gleich Biographisches, so doch zumindest einen ähnlichen Background mit Thompson teilen.

Anders, man darf vermuten: respektloser würde eine derartige Coversammlung wohl ausfallen, wenn darauf endlich, wie schon lange angekündigt, amerikanische Thompson-Fans wie Bob Mould, John Doe, X-Tal, Michael Hall oder die Walkabouts zum Zuge kämen. Zumal gerade letztere seinen ironisch zugespitzten Fatalismus auf einem Album wie „New West Motel“ perfekt in ihre Version von Americana transportieren – alltägliche Geschichten, durch die, ähnlich Robert de Niro in vielen seiner Filme, nur noch Getriebene geistern. Kopflos und ausgeliefert. – Die Thompson-Renaissance in den USA (respektive seine Entdeckung überhaupt) setzte 1982 mit „Shoot Out The Lights“ ein, seinem letzten gemeinsamen Album mit Linda Thompson (vormals Peters). Seither schwebt der Songwriter und Gitarrist mit dem unverwechselbar schrägen Splitter-Sound wie ein großer, guter Geist über der fortschrittlichen US-Post-Punk-Szene. Einerseits wohl, weil seine Songs das Bedürfnis vieler (Ex-) Punks nach musikalischer Weiterentwicklung jenseits kunstinspirierter, „progressiver“ Soundlandschaften befriedigen, andererseits, weil sie in ihrer „Authentizität“ eine zeitlose Allgemeingültigkeit offerieren, die noch nicht durch abgehalfterte Rock-Rituale diskreditiert ist.

Die wunderbare, sozusagen transatlantische Ironie dieser Geschichte liegt natürlich darin, daß ein Mann wie Richard Thompson selbst einige Jahre vorher vor den Punks daheim gen USA flüchten mußte. Die hatten in ihrer grenzenlosen Verachtung für alles Althergebrachte zur Hatz auf Rock- Dinosaurier Marke Genesis geblasen (die heute – like punk never happened – mehr Schotter einfahren als je zuvor...), dabei aber auch verdiente Musiker wie Thompson erwischt, der anno 77 plötzlich als lahmer Folk-Brotbeutler denunziert wurde.

Vielleicht liegt es am „Persönlichen“ der Songs. In der Thompson-Rezeption spielt die autobiographische Reduktion bis weit in die Achtziger hinein, ja teils noch bis heute die erste Geige – leider. Thompson hat nämlich seine (Anti-) Love-Songs bei näherem Hinsehen selten auf rein private Scharmützel verkürzt – wenn auch ihr gesellschaftlicher Reflex nicht immer so offen lag wie im programmatisch betitelten „Love In A Faithless Country“ (vom 85er Album „Across A Crowded Room“): „Lerne es, mit der Menge zu verschmelzen“, heißt es da. „Kleide dich niemals zu auffällig, schaue niemandem in die Augen. Du mußt unsichtbar sein, mein Freund, um die Freude zu finden, von der wir alle abhängig sind.“

Der Trugschluß, Thompson habe sich fast ausschließlich selbst zum Gegenstand seiner Songs gemacht, mag vom leidigen Image des Singer/Songwriters herrühren, der sich nur Befindlichkeitsfolk von der Seele schreiben könne. Zudem hat Thompson, heute als mehrfach bekindeter Familienvater mit einer Amerikanerin verheiratet, den Nachgeschmack seiner gescheiterten Ehe mit Linda Peters vielleicht doch etwas zu intensiv ausgekostet.

Alben wie eben „Shoot Out The Lights“ und „Hand Of Kindness“ (1983) lassen sich zwar mühelos als erhellende und im Grunde wenig gefühlsduselige Nachrufe auf eine jäh zerbrochene Lebensgemeinschaft dechiffrieren – zumal sich Thompson ganz offensiv inszenierte (auf dem Cover von „Shoot Out The Lights“ etwa hockt er in der Ecke, während Linda von einem gerahmten Foto milde in den Raum lächelt; die Tapeten hängen in Fetzen von den Wänden; eine nackte Glühbirne schwingt über der Szenerie, gerade so, als wolle sie noch von der Erschütterung erzählen, die da gerade hereinbrach), doch in diesem Genrebild des verlassenen Liebhabers schwingt stets auch ironische Distanz mit.

Anders gefragt: Wie ernst – im Sinne einer Einheit von Leben und Werk – darf man einen Songwriter nehmen, der frohen Mutes Refrainzeilen wie „I feel so good, I'm gonna break somebody's heart tonight“ herausposaunt? Der in immer neue Rollen schlüpft? Ist er tatsächlich der Psychopath, der im Überschwang verquerer Gefühle wahllos Herzen bricht? Der verzweifelte Liebhaber, der in der kalten, leeren Ruine einer in Gleichgültigkeit erstarrten Leidenschaft dahinfröstelt? Der nervös Pubertierende, der die Wirklichkeit heimlich goutierter Sex-Magazine mit der Schulhof-Realität verwechselt? Der von flammender Eifersucht Gepeinigte, der das „Feuer im Maschinenraum“ (Songtitel) kaum unter Kontrolle bringt – geschweige denn löschen kann? Oder der ebenso rachsüchtige wie hilflose Back-Street-Streuner? Der willige Domina-Sklave, der endgültig die Kontrolle über sich verliert? Der romantische Narr, der immer noch „Good Luck“ verstehen will, während sie schon längst bei „Good Bye“ angelangt ist (ein, nebenbei gesagt, typisch männlicher Realitätsverlust)?

Die Antwort ist so einfach und so schwer wie bei guter Literatur. Thompson ist ein Trickster, der sich sein Material anverwandelt. Er hat – mal mehr, meistens weniger autobiographisch – sämtliche Charaktere und Rollen durchgespielt (vom jungen Werther bis zum alten Chaucer), dabei intensiv gerade auch jene, die Abgründe auftun, in denen wir – so funktioniert „literarischer“ Folk nun mal – uns lieber nicht sehen möchten. Und Thompson ist dabei als Gefühlsvirtuose so überzeugend, daß er gleich eine Doppelrolle übernehmen kann. Es ist, wie Greil Marcus in den Liner Notes zur (passend „Watching The Dark“ betitelten) 3-CD-Retrospektive ausführt, die kürzlich beinahe parallel zur eingangs erwähnten Hommage erschien: „Der Ärger kann jederzeit losbrechen, egal, welches Kostüm der Künstler gerade trägt“, schreibt Marcus. „Augenblicklich macht Richard Thompson einen Schritt nach vorn, um gleichzeitig den Narren und seinen Henker zu spielen. Er enthauptet sich selbst und hält seinen Kopf hoch, der Menge zum Vergnügen, doch die verstummt vor Scham.“

So ein Approach geht immer mit spätbürgerlicher Gegenwartskritik aus der Sicht des beschädigten Lebens einher. Gegen die scheinheilig-schöne Werbewelt, die das Volk mit Träumen jenseits aller Erwartungen und Möglichkeiten füttert und betäubt, später auch gegen die klinisch perfekte Illusion einer Cyberspace-„Realität“, rief Thompson immer wieder das Ende der Unfehlbarkeit aus – und die Würde der Fehlbarkeit. Seine Songs lassen die Gewißheit ertragen, daß irgendwann jede/r von uns scheitern wird und muß.

Das ist keine Frage der Gesinnung – und schon gar nicht der politischen Correctness. Um es mit Neil Young zu sagen: „Even Richard Nixon got soul.“ Um es mit dem listig versteckten Titelsong der Thompson-Hommage zu sagen: „You live and you die, there's no reason why – the world ist a wonderful place.“

Verschiedene: „The World Is A Wonderful Place“. (Hypertension/ ARIS)

Richard Thompson: „Watching The Dark – The Essential Retrospective“. (3-CD-Set, Hannibal- Rykodisc/Rough Trade)