Mein Mild'Or

„Ist Ihnen eigentlich schon einmal aufgefallen, daß Ihnen der Name „Kuschelrock“ ganz vertraut klingt?“ fragt es giftigsüß vom Innencover der neuen „Kuschelrock 7“-Doppel-CD herab. Es liegt natürlich daran, daß „,Kuschelrock‘ ein Markenzeichen ist, das Sie längst kennen“. Und das ist noch nicht mal gelogen! Eine Idee hat sich durchgesetzt: Neben 13 Millionen verkauften CDs allein im deutschsprachigen Raum gibt es Kuschelrock-T-Shirts, eine Kuschelrock-Zeitung, Kuschelrock-Radiergummis, Kuschelrock-Regenjacken, Kuschelrock-Ringbücher und vieles mehr. In 47900 Kempen kann man sich das alles im neutralen Umschlag beim Kuschelrock- Service bestellen. „Aber das wissen Sie ja von sich selbst.“

Doch was macht Kuschelrock eigentlich so anziehend? „Rücken Sie ruhig ein klein wenig näher, ich erklär's Ihnen. Nein, nehmen Sie ihre Hand da weg, Kuschelrock hat mit Zärtlichkeit und Romantik zu tun, nicht mit Sex und Erotik. Deshalb kauft auch die Oma Kuschelrock gern für ihre Enkelinnen.“ Denn, und jetzt kommt's: „Kuschelrock spricht Menschen an, die mit den allgegenwärtigen Sado-Maso-Phantasien nichts anfangen können.“

Um so erstaunlicher ist der Effekt unglaublicher Pornographie, der von der gesamten Kuschelrock-Idee ausgeht. Dieses balladeske Eiern im unteren BPM-Bereich, dieses Recyceln von Adult-Phantasien via Rock... diese Stars! Von Mariah Carey über A-ha und Gloria Estefan bis hin zu Bonnie Tyler und „Mr. Big“. Und dann diese explicit lyrics! „Wenn Sie mir weiter den Nacken kraulen, verrate ich Ihnen – oder: Ich sag jetzt einfach Du, okay? – also, dann verrate ich Dir, wer die Titel für die jeweils neueste Kuschelrock auswählt...“

Natürlich besorgt das eine computergesteuerte repräsentative Meinungsumfrage, und schon deshalb wäre es nicht weiter verwunderlich, auch Kuschelrock- Brustwarzenringe und Kuschelrock-Gummimasken im Kuschelrock-Serviceangebot vorzufinden... ja, wäre da nicht dieses entschiedene Abtauchen ins Prägenitale, Unortbare, dieses Verharren im Virtuellen. Ist das etwa schon Cyber-Sex? Unsere vorläufige Arbeitshypothese lautet: Wir wissen es auch nicht so genau, aber irgendwie betreibt Kuschelrock das Ende von Sex, wie wir ihn kennen.

Doch schon schlägt das genitale Imperium zurück. „Rock for Lovers“ heißt das etwas härtere Gegenkonzept, mit dessen Hilfe es repräsentativen Umfragen zufolge schon zum Äußersten gekommen sein soll. tg