„Was ist Knast gegen Menschenleben?“

Weder die türkischen noch die deutschen Möllner sind mit den Urteilen gegen die Brandstifter zufrieden / „Warum nicht die Todesstrafe?“ fragen die Immigranten  ■ Aus Mölln Bascha Mika

Wenn die Dezemberkälte in die Knochen kriecht, wenn der Regen die Frisur niedermacht und die Dunkelheit den Rest Tagesenergie verschluckt – was kann man schon machen in einer deutschen Kleinstadt? Zuhause hocken oder in der Kneipe. Die Türken im schleswig- holsteinischen Mölln zieht es in ihre Teestube, wo „Schwarzer Tee vom Schwarzen Meer“ getrunken wird und im Fernsehen die Spieler von Spartak Moskau und Galatasaray Istanbul um den Europapokal rennen.

30 Köpfe fixieren die Mattscheibe, 60 Augen flitzen mit den Spielern über das Feld. Die Männer brüllen auf türkisch und fluchen „Scheißdreck!“ auf deutsch. Aus das Spiel – 0:0. Sofort ist's vorbei mit der Fußballstimmung. Gemurmel und noch mehr Qualm füllt die Stube. Vor gut einem Jahr haben hier die selben Männer gesessen. Zu Tode verstört, voll verbissener Wut. Damals waren zwei Häuser, in denen türkische Landsleute wohnten, in Flammen aufgegangen, zwei Mädchen und deren Großmutter verbrannten. Heute ist gegen die Attentäter im Prozeß in Schleswig das Urteil gesprochen worden. Höchststrafe.

Zuwenig!, denkt Zekai Demircan. Er ist in Mölln aufgewachsen, hat hier einen Laden und hadert mit der deutschen Justiz. „Man muß sich zwar damit abfinden“, meint er, „sie haben ja die Höchststrafe bekommen, aber unter uns gibt es kaum jemanden, dem das genügt.“ Warum nicht mehrmals lebenslänglich wie in der Türkei? Warum nicht nicht die Todesstrafe wie in den USA? „Alle denken so!“ wirft Ali ein, „wir diskutieren schon seit Stunden darüber.“ Natürlich, ein Freispruch wäre die absolute Katastrophe gewesen. Randale hätte es gegeben. Schon deshalb habe das Gericht in Schleswig die Angeklagten verurteilen müssen. Unabhängigkeit der Justiz? Die Türken in der Teestube schütteln zweifelnd den Kopf.

„Was ist Knast gegen Menschenleben?“ regt sich Ali weiter auf. Vor einem Jahr hat er sich mit einer Familie aus dem brennenden Haus in der Ratzeburger Straße retten können. Sein Bein war verletzt.

Das ist inzwischen wieder in Ordnung, sein Lebensgefühl in Deutschland nicht. Er ist noch keine 30, doch schon ganz schön bitter. „Die Verbrecher kommen nach zehn oder fünfzehn Jahren 'raus und machen sich ein schönes Leben. Und die toten Mädchen, können die das auch?“

Immerhin, findet Maschinenführer Ali, sei in Mölln einiges passiert seit dem Anschlag. Der deutsch-türkische Verein „Miteinander leben“ arbeitet seit fast einem Jahr, und ein frischgegründeter Ausländerbeirat – der erste in Schleswig-Holstein – könne ab jetzt im Stadtrat Einfluß auf die Kommunalpolitik nehmen. Besser wäre es natürlich, man hätte als Türke in Deutschland endlich die doppelte Staatsbürgerschaft. „Uns würde es politisch was bringen“, glaubt Ali, aber gegen die Rechten könne man damit nichts ausrichten.

„Die werden doch auch nach dem Urteil nicht aufhören“, murmelt Zekai Demircan. „Die wollen uns einfach raushaben“, mischt sich gleich ein Alter aus der Stubenecke ein.

Raus aus der Teestube, einen gepflasterten Weg hoch und rechts um die Ecke. Rein in eine Kneipe mit „französischem Imbiß“. Auch hier sitzen Möllner Männer und qualmen in die Luft. Aber sie sind Deutsche, trinken Bier statt Tee, es gibt auch eine Frau in der Runde: Die Wirtin. „Na, wenn sie's denn gewesen sind“, kommentiert einer aus der Männerrunde das Schleswiger Urteil, „ist es auch richtig so“. Sein Nachbar rutscht unruhig auf dem Barhocker nach vorne. „Nee, ich weiß nicht“, schiebt er ein, „normalerweise wären sie nie so schwer verurteilt worden.“ Normalerweise heißt für ihn: Wenn nicht die ganze Welt auf das Urteil gewartet hätte. „Das Gericht“, gibt er sich überzeugt, „hat doch nur nach außen geguckt. Das ist ein Muß-Ding gewesen.“

„Ist doch Quatsch!“, kommt es vom anderen Ende der Theke von einem Vertreter, der Flaschenbier vorzieht und eine rotgeränderte Brille trägt, „da gab es doch Geständnisse. Sie sind einfach schuldig!“ Nur werde das Urteil die Rechten in Zukunft wohl kaum abschrecken.

Jetzt will die Wirtin auch mal was sagen: „Wir Möllner sind froh“, versucht sie die Männer zu übertönen, „wenn hier wieder Alltag einkehrt. Ganz so extrem isses ja nicht mehr. Aber nach dem Anschlag haben die Türken und wir uns ganz schön beobachtet.“

Die Tür fliegt auf, eine ältere Frau mit zerrupfter Dauerwelle kommt aus dem Regen. Erst gibt's einen Weinbrand für sie, dann legt sie los. Die Angeklagten schuldig? Natürlich nicht! „Die brauchten nur irgendwelche Täter.“

Und dann gibt die Frau die alten Gerüchte zum Besten, die sich in Mölln seit dem Attentat hartnäckig halten: Die Verbrecher seien Ausländer aus dem Hamburger Rotlichtmilieu gewesen, „unsere“ hätten damit gar nichts zu tun.

Und nachdem sie dergestalt – dem Ergebnis des Prozesses trotzend – ihr Weltbild wieder zurechtgerückt hat, kippt sie beruhigt ihren Weinbrand.