: Wider die alten Vorurteile
■ Regina Weidele ist die Dramaturgin am Jugendtheater auf Kampnagel
„Es ist ein Unterschied, ob Theater Spaß macht oder ob es sich anschleimt.“ Regina Weidele lacht und meint es ziemlich ernst. Seit acht Jahren ist sie Kinder- und Jugendtheaterdramaturgin; erst in Tübingen, dann am Berliner Grips Theater, später bei der Roten Grütze und seit zwei Jahren beim Jugendtheater auf Kampnagel (JAK). Die Vorurteile über Jugendtheater sind noch immer die gleichen: „Ich merke das ständig, wenn ich Stücke für unseren Spielplan lese. Selbst Autoren scheinen zu denken, daß sie sich für Jugendliche keine besondere Mühe geben müssen. Viele glauben doch, Jugendtheater ist wie Erwachsenentheater, nur kleiner und nicht so interessant.“
Daß dem nicht so ist, hat das (JAK) mit sehr unterschiedlichen, aber künstlerisch stets erstklassigen Produktionen längst bewiesen. Und es hat mit einem weiteren Vorurteil aufgeräumt: der Gleichsetzung von Jugendtheater mit Sozialpädagogen-Agit-Prop. „Diese Stücke, wo am besten gleich eine ganze Jugendgruppe auf der Bühne steht, interessieren mich nicht. Wenn die Kids nur zuhören, weil wir ihren Jargon sprechen - ,haste mal 'ne Mark, ey' - nee, so wir wollen uns nicht anbiedern.“ Lehrer, so Weidele, verlangen oft, daß in den Stücken Lösungen angeboten werden, „damit die Kids wissen, was sie nach dem Theater denken sollen“, doch dem JAK geht es genau um etwas anderes. Es will zeigen, daß Theater nicht Schule ist, daß es hier kein abfragbares Wissen gibt, daß Interpretationen nicht richtig oder falsch sind und ein eigener Standpunkte erlaubt, ohne vorher einen Erwachsenen zu fragen.
In den 70ern, sagt die 35jährige, habe direktes Identifikationstheater seine unbedingte Berechtigung gehabt, aber die Zeiten haben sich geändert und die Jugend auch. „Heute gibt es ja gar nicht mehr die Jugendlichen, eine Mode, eine Jugendkultur - deshalb müssen wir einen vielfältigen Spielplan präsentieren.“
Regina Weidele begann Ende der 70er Theaterwissenschaften in Berlin zu studieren - was sie durch eine Job als Setzerin bei der taz finanzierte (Ich werd' auch berühmt! d.S.in). Sie war Leserbrieftante, begann nebenbei über Theater zu schreiben und verfiel ihm schließlich ganz. Als sie Dramaturgin in Tübingen war, leitete Jürgen Zielinski dort das Jugendtheater. Ihn traf sie später bei der Roten Grütze wieder, und gemeinsam mit dem Schauspieler Erik Schäffler entschloß man sich, das Projekt in Hamburg zu übernehmen. Sie teilen eine Auffassung von Theater - gleichrangige Partner sind sie nicht. „Als Dramaturg bleibt man immer Zuarbeiter. Deshalb sitzen hier ja auch so viele Frauen. Man geht in der Arbeit auf, verschwindet darin. Das ist das Dramaturgenelend: Man sitzt in der Premiere und denkt ,Was habe ich hier eigentlich gemacht?'“
Zum möglichen Ende des JAK 1994 bemerkt Regina Weidele schlicht: „Das war der Beweis, daß Jugendtheater möglich und keine aussterbende Kunstform ist.“ Und was nun? Sie geht zum Fernsehen, um an einem Jugendmagazin mitzuarbeiten. Schade, denn wir wissen ja, wer sowas guckt: keiner unter 40 jedenfalls.
Christiane Kühl
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