Ein Stück weit verloren

■ Ist Helga Trüpels Konzeptpapier bloß eine lange Ausrede fürs Auslesen? Eine vollinhaltliche Debatte über die Kulturpolitik der Neunziger in den Weserterrassen

Wo sie hinkommt, wird sie geklopft: Vorgestern begab sich die Kultursenatorin ins Bürgerhaus Weserterrassen, um im Namen der Grünen den allgemeinen Unmut bezüglich ihres neuen Konzeptpapieres zu ertragen.

Anfangs wär's ihr beinah gelungen, den ganzen vollen Saal vorbeugend zu ermatten mit einer Vorrede, nein, einem liturgischen Gesang über „integrale Politikfelder“, neue „Bedarfe“ und „ästhetische Bildung“ insgesamt. Da aber erhob der Kulturwissenschaftler Michael Müller das Wort und warf ihr einen „erschreckend konservativen Tenor“ vor, ja eine geradezu antiaufklärerische „Affinität zum Werkbegriff“ des alten Bürgertums.

In der Tat ist ja in dem Papier öfters die Rede von einer gewissen Qualität, welche nach den Zeiten der Breitenkultur die kulturelle Produktion nunmehr deutlicher als ehedem aufweisen müsse, wenn sie noch an die Staatsknete heranwolle. Das hat naturgemäß die Produzenten erbittert.

Der ganze Qualitätsbegriff sei ja vielleicht doch nur ein verkapptes Selektionsinstrument, argwöhnte im Auftrag des Kulturrates Brigitte Schulte-Hofkrüger. Und Michael Müller sprang ihr bei und klagte, nun wolle man sich wohl vollends verabschieden von der „Kultur für viele“, und noch dazu komplett konzeptionslos; nun wolle man zurück zum guten alten Spezialistentum und zur Bildungsbürgerei, und ausgerechnet eine grüne Senatorin!

Der ganze lange Abend drehte sich beharrlich um diesen Angelpunkt: Ist ein Konzept „auf der Höhe der Zeit“ (Trüpel), wenn es den Standpunkt der „fundamentalen Opposition verläßt“ (Trüpel) und wieder von „ästhetischer Erziehung“ und andererseits der „Optimierung der Mittel“ (Trüpel) spricht? Oder ist das bloß die Rücckehr zum alten bildungsbürgerlichen Plunder (die anderen), verschärft um das kurrenteste marktwirtschaftliche Wortgeklingel?

Nicht nur vom Optimieren, auch von allfälligen Strukturveränderungen sprach die Senatorin, und aus dem Publikum schallte es zurück, sie möge bitte von Sparmaßnahmen sprechen, da sie ja doch Sparmaßnahmen meine.

Immer aber wenn sich's zu erhitzen versprach, fand sich doch wieder ein Schwafelhans, und der Moderator Hans Jessen ließ einen jeden reden, so lang ihm der Schnabel gewachsen war. Auf dem Podium zum Beispiel der „Kulturmanager“ Helmut Hornig predigte mit einemmal über sein langjähriges Leben auf dem Lande und seiner nunmehrigen Überzeugung, alle Innovation komme von dorther, „aus der Region“, so wie alle Kultur mit der Wirtschaft gemein habe, daß sie gestalterisch wirke, oder jedenfalls so ähnlich. Da kroch vollends das Grauen der Langeweile in den Winkeln.

Sobald aber die Debatte wieder festen Boden gewonnen hatte, ging es zäh und unablässig um die „Qualität“: Wer denn entscheiden solle, was nun ausreichend qualitätshaltig sei, frugen die Menschen, und der Kultursenatorin fielen nur „unabhängige Jurys“ ein; wo aber die Qualität herkommen solle, wenn keiner vorher ihr Entstehen gefördert habe, frug die Autorin Edith Laudowicz, und immer teurer wurde der gute Rat.

Da den ganzen Abend lang von „Kunst und Kultur“ zugleich die Rede ging, war man ohnehin zum Herumkreiseln verdammt. Niemandem kam der Gedanke, es könnten die beiden Ressorts womöglich ein ganz entgegengesetztes Verhältnis zum Qualitätsbegriff haben: Die Kunst beruht ja doch geradezu auf ihm; die Produzenten der Kultur aber, und schon gar der breiten, lehnen ihn völlig zu Recht als Zumutung ab.

So verzettelte sich alles aufs Tapferste in der Frage, was man von „Kunst und Kultur“ insgesamt verlangen müsse, im Falle man dürfe. Vielleicht liegt aber auch der Schein einerAuflösung in dem Wort, welches Karin Krusche vom Landesvorstand der Grünen sprach, als sie einmal aufstand und seitens der Veranstalter die Lahmheit der Debatte beklagte: Es gehe doch schließlich „ein Stück weit um die gesellschaftliche Utopie, die wir mal...“ usw., und die „wir doch nun ein Stück weit verloren haben “. schak