Wand und Boden
: Soziale Abenteuerplastik

■ Kunst in Berlin jetzt: Meister, Laganovskis, Blumenschein, Eyferth

Die neue Dependance der Wewerka-Galerie an der Potsdamer Straße 55 (Schöneberg), schräg gegenüber der Neuen Nationalgalerie, ist klassisch modern: ein rechteckig gewinkelter Raum mit grauem Boden und blendend weißen Wänden. Manche KünstlerInnen würden schon den Ort zum Gegenstand der Ausstellung machen. Ulrich Meister dagegen macht dieses Konzept zunichte. In die linke Ecke hat er eine fabrikneue Aktentasche gestellt, hinten hängt eine Tüte von AZ-Electronic an der Heizung, vorne steht ein Teller mit ausgetrocknetem Waffelgebäck; an den Wänden hängen Dinge des Haushalts – zusammengeknüllte Alu-Folie, Kleiderbügel, Geschirrtuch. Von den ordentlich drapierten Gegenständen darf man in dieser Installation offensichtlich nicht allzuviel erwarten.

Statt dessen bleibt man an den Texten kleben, die Meister den Durchschnittswaren zur Seite stellt. In immergleichen Abständen zu den Objekten sind DIN-A-4 große Blätter mit gezielt nachlässig abgerupftem Kreppband angebracht worden, auf denen Meister knapp in vier oder fünf Zeilen die Welt aus der Sicht der Gegenstände umschrieben hat. Die niemals wirklich aus der Mode gekommene Klage von der Kommentierbedürftigkeit der Kunst wird im prosaisch verfaßten Gleichnis selbst zum Werk, zum goldenen Pappverschluß für Zellophanpackungen dichtet Meister: „Bereits zur Beseitigung aussortiert, hob er, wie aus der Bedeutungslosigkeit erwacht, noch einmal zu einer Gebärde an, die beinah ungesehn sich im Raum verlor.“ Solcherart mit Charakter versehen, sprechen die sonst stummen und unscheinbaren Gegenstände den Betrachter an, als hätten sie Kafka gelesen.

Bis 18.12., Mo-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr.

Kaum zwei Straßenblöcke die Potse hinunter wiederholt sich die Geste des feinfühlig formulierten Kommentars in den Arbeiten von Leonards Laganovskis. Auf 60 hochformatigen, aquarellierten Blättern, sorgsam von zwei Leisten eingefaßt, benutzt der litauische Maler mit einem Hang zum Zitat das Motiv der Tribüne, um es als Variable für politische, kulturelle und soziale Gleichnisse zu setzen. In jedem Rednerpult spiegelt sich die Umkehrung oder Übertragung der Macht des gesprochenen Wortes in der öffentlichen Inszenierung wider. N 662, eine kubische Tribüne in blassen Blau-, Gelb- und Erdtönungen dient als Trutzburg, während anderswo ein Ventilator dem dürren Mikrofonständer die rote Fahne entgegenbläst. Der gewandelte Diskurs hält mit dem veränderten politischen Klima Schritt.

Doch Laganovskis beläßt es nicht allein bei Karikaturen. Die Variationen reichen vom Eckpult à la Artschwager und konstruktivistisch gestalteten Designobjekten bis zu sexuell konnotierten Zeichenmaschinen: Die Duschtribüne mit gekacheltem Abfluß als umgenutzte spanische Fliege. Dann wiederum verkürzt Laganovskis das Geschlechterspiel auf Klischees vom bestrumpften Frauenbein, das als Podest herhalten muß, oder er läßt frei nach Sandro Chia dem einladend herausgestreckten Arsch einen Furz entfahren, aus dessen pfauenfederähnlichem Duftschwall sich ein Mikrofon formt. Sehr liebevoll sind in die offenkundigen Geräte-Metaphern unscheinbare Details eingearbeitet. Ein Meret- Oppenheim-Tableau mit Krähenfüßen steht wackelfest auf einem kleinen Stück grauer Pappe, an einem Holzgitterkäfig wurden selbst die Scharniere malerisch hervorgehoben. Trotzdem dominiert das politische Konstrukt – die letzte Tribüne brennt.

Tribünen, bis 29.1., Di-Fr 14-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Potsdamer Straße 93, Schöneberg.

Auf eine schwache ikonische Kraft, an der sich der Betrachter festhalten kann, vertraut auch Tabea Blumenschein in ihren Bildern, die in der allgirls gallery zu sehen sind. Sonst wäre ihre Wirkung vermutlich nicht so schockierend. Statt als schizophren- bunte Wahngemälde abgetan werden zu können, klafft bei Blumenschein die scheinbar geschlossene Privatwelt auseinander – konkret, aggressiv und bis in die kleinsten Verstiegenheiten hinein allgemein verständlich. Auf einem plakativen Weihnachtsgemälde befindet sich Knecht Ruprecht auf X-Mas-Trip mit Dildo und Peitsche, eine Reihe von kantig gemalten Matrosen spielt an ihrem Geschlecht herum. Doch das allgegenwärtige Körperteil hat bei Blumenschein seine eigene Dynamik: Der Phallus lächelt zurück oder fletscht die gemalten Zähne.

Die ausschweifenden Bilder übersteigern das Standard-Image der Pornografie und kehren die Rollen um. Hier wird der männliche Körper zerstückelt und mit Zeichen versehen. Übrig bleibt eine tätowierte Projektionsfläche, die freundlich grinsend starr auf der Leinwand ausharrt. Ein geschmücktes Opfer. Trotzdem erscheint der Mann als sympathisch böses Wesen, das sich von seinem Geschlecht lösen kann. Auf fotografierten Porträts ist der Übergang schon vollzogen. Mit Strapsen und Kaninchenmasken verkleidet winken zwei eher undefinierbare menschliche Kreaturen in die Kamera, daneben glotzt ein blutüberströmter Skinhead noch verdutzt. Einige Aufnahmen besitzen die grausame Konturlosigkeit und glibberige Unschärfe der Aktionsfotos von Paul McCarthy. Bei Blumenschein ist die Entstellung jedoch kein Kunstgriff nach einer negativ exemplifizierten Dialektik, und Schaschlik reimt sich sehr bewußt auf ungleich herbere Wörter.

Bis 22.12., Mi-So 16-19 Uhr, Kleine Hamburger Straße 16, Mitte.

Auch in der Galerie Vinzenz Sala kehren Wünsche merkwürdig verschroben wieder zurück. Tobias Eyferth hat in dem großzügig befensterten Ex-Kaufmannsladen in der Brunnenstraße 44 (Mitte) sehr redundantes Gerät aus der Kindheit installiert: Rutschen vom Spielplatz am Rande einer Autobahnraststätte, wie etwa jener kurz hinter Hannover auf dem Weg ins Weserbergland. Soziale Abenteuerplastik. Ein Gerüst ist aus robustem Bauholz gezimmert, ein Kiefernholzmodell gleicht mehr einer Zitadelle, und das dritte Exponat – eine sehr tiefgelegte Babypassage – ist mit roter, brauner und orangefarbener Glanzfolie aus Kunststoff beklebt. Eyferth hat die ein wenig abseitigen Reiseerinnerungen mit Unterbodenrollen versehen, wodurch die Gerüste den Charakter von Schaustücken bekommen. Der Kunstgegenstand tritt fast völlig hinter seinem funktionalen Zugriff zurück.

Dennoch besitzen die Objekte einen gestalterischen Haken: Jedes Exponat ist um einige Zentimeter zu klein geraten, um vielleicht ein Viertel der Originalgröße geschrumpft. Die Rutschflächen sind kaum eine Hand breit, so daß die Holzträger daneben zu massiv wirken. Auf diese Spur gebracht, enttarnt sich das vordergründige Spielzeug als Skulptur, trotz des kinderfreundlichen Ansatzes unterliegen die Objekte einem streng bildhauerischen Interesse. Vielleicht haben aber auch nur viel zu viele KünstlerInnen mittlerweile Familien gegründet. Eyferths Objekte sind jedenfalls sehr uneigennützig. Harald Fricke

Bis 23.12., Fr 17.30-20 Uhr, Sa/So 11-15 Uhr.