Der Speckgürtel hat ein Loch...

■ ... und das heißt Strausberg: In der ehemaligen NVA-Garnisonsstadt wählten 43 Prozent die PDS / Einst arbeitete fast jeder zweite der 20.000 Erwachsenen in oder für die Armee

Strausberg ist einer der melancholischsten Orte in ganz Brandenburg. Trübselig wirkt dort alles. Die unendlich vielen Plattensilos, die verfallenden Altbauten aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Gesichter der Menschen, die auf der Großen Straße nach Sonderangeboten suchen, der Weihnachtsmarkt, der sich „traditionell“ nennt, aber zu hundert Prozent aus Textilramschbuden besteht, die Imbißbuden, die Soljanka und Kesselfleisch – immerhin zu DDR- Preisen – verkaufen. Und selbst die Luft, die trotz See vor der Haustür nach billiger Braunkohle riecht.

Der Ort ist grau und wählt rot.

Strausberg, dieses Städtchen am Ende der Berliner S-Bahn Linie Nummer 5, ist die Hochburg der PDS in Brandenburg – und war es immer schon. Bei der Kommunalwahl heimsten sie 42,88 Prozent der Stimmen ein, fünf Prozent mehr als im Wahljahr 1990 und zehn Prozent mehr als in in jedem anderen Ort im Lande. „Das gute Abschneiden der PDS überrascht uns überhaupt nicht“, wiegelt Günter Scheidlock ab, Pressesprecher der Stadt. Auch ein roter Bürgermeister würde ihn nicht schocken: „Ich halte mich aus der Parteipolitik heraus.“ Wer demnächst Bürgermeister wird, der aus der SPD ausgetretene und jetzt unabhängige Amtsinhaber Jürgen Schmitz, 47, oder der PDS-Versicherungsvertreter Lutz Amsel, 42, werden die Strausberger mit einer Stichwahl am 19. Dezember entscheiden.

„Unsere Bürger haben von blühenden Landschaften geträumt“, erklärt Scheidlock die Lage, „und jetzt sind sie in der Realität aufgewacht.“ Der vielzitierte „Speckgürtel“ Berlins habe bei Strausberg ein Loch, die Industrie zögere noch mit Investitionen. Aber in guter alter DDR-Manier – „Da müssen wir durch“ – überspielt er die Sorge mit Optimismus: Ein „sichtbares Voranschreiten“ sei zu beobachten. Vom 60 Hektar großen Gewerbepark seien bereits 18 Hektar verkauft. „Investoren fragen nicht nach dem Stimmzettel“, meint auch Claus Wunderlich, Sachgebietsleiter beim Amt für Wirtschaftsförderung. Sie fragen nach Quadratmeterpreisen und Verkehrsanbindungen. „Alles glänzend“, strahlt Wunderlich. Und hofft auf eine arbeitsintensive Produktion, 50 Arbeitsplätze pro Hektar Gewerbefläche.

Diese braucht die Stadt dringend, denn das Hauptproblem heißt „Monostruktur“, Ergebnis der vielen militärischen Einrichtungen. Früher war Strausberg Garnisionsstadt Nummer 1 in der DDR, NVA-Kasernen en masse, das Kommando Luftstreitkräfte siedelte hier und, seit 1956, auch das Ministerium der Nationalen Verteidigung. Mehr als jeder zweite der etwa 20.000 erwachsenen und erwerbsfähigen Bürger arbeitete in oder für die Armee. Dann wurde die NVA abgewickelt, die Bundeswehr zog ein, und die Ex-Soldaten mußten die Wörter „ABM“, „Umschulung“, „Freisetzung“ und „Sozialhilfe“ lernen. Die Arbeitslosigkeit beträgt inzwischen 22 Prozent, viele sind ihrer Qualifikation wegen schwer vermittelbar. Der Sozialetat der Stadt ist heute doppelt so hoch wie die gesamten Steuereinnahmen der Kommune. Dazu kommt, daß Strausberg mehr Angestellte im Öffentlichen Dienst beschäftigt als jede andere vergleichbar große Stadt in Brandenburg. Seit Anfang der Woche hat Strausberg auch noch den Rang einer Kreisstadt verloren, der neugebildete Landkreis Märkisch-Oderland (PDS 19,2 Prozent) wird jetzt vom 5.000-Einwohnerdorf Seelow regiert. Diese „Demütigung“, vermuten Verwaltungsangestellte, habe potentielle SPD-Wähler in die Arme der PDS getrieben.

„Natürlich habe ich PDS gewählt“, sagt ein ehemaliger NVA- Berufssoldat, 36 Jahre. Eine Umschulung zum EDV-Fachmann hat er hinter sich, seine ABM-Stelle läuft Ende des Jahres aus. „Zukunft ungeklärt“, bilanziert er militärisch knapp. Nach einer sehr langen Pause fügt er hinzu: „Ich hasse Opportunisten.“ Der Taxifahrer am Stellplatz S-Bahnhof ist ebenfalls Ex-Berufssoldat und PDS- Sympathisant, „genau wie fast alle meiner Kollegen“. Es sei Helmut Kohls Schuld, daß die Skins jetzt überall randalieren. In Strausberg habe man sie aber dank seiner Hilfe jetzt „voll im Griff“. Weil „der Staat das nicht hinkriegt“, hätten neulich 30 Taxifahrer „Selbsthilfe“ geübt. Die stadtbekannten Rechtsextremen seien am Bahnhof so gründlich zusammengeprügelt worden, daß die „noch Jahre lang ihre Wunden lecken“. Anita Kugler