„23 Tage im Mai“

■ Klaus Wildenhahn begleitete den Streik der Ost-Metaller

„Für alles gibt's ein erstes Mal“, sagt einer, „wir hatten ja seit 53 keine Übung.“ Der materielle Streikerfolg der Ost-Metaller Ende Mai war im Vergleich zu ihren Anstrengungen eher bescheiden – und auch nicht unumstritten: 80 Prozent des Westlohns sollten die Stahlarbeiter von Juni an erhalten, 90 Prozent ab Oktober 94, 100 Prozent dann ab April 96 – zwei Jahre später als im ursprünglichen Tarif zugesagt.

Die meisten werden Ende 94 sowieso auf der Straße stehen, so das nüchterne Fazit, mit diesem Streikergebnis haben sie wenigstens 90 Prozent für ihr Arbeitslosengeld. „Und wir“, sagt heute der stellvertretende BES-Betriebsratsvorsitzende Uwe Teßmer, „brauchten jedenfalls nichts zu opfern.“

Doch um derartige Details geht es Klaus Wildenhahn in seinem Film kaum. Auch nicht um Informationsnachhilfe für den Zuschauer über die undurchschaubare Tranchierung der ostdeutschen Metallindustrie durch die Treuhand oder um die plötzliche Aufkündigung der Tarife durch die Unternehmer und die Urabstimmung der IG Metall, die dem ersten Streik seit 60 Jahren in der ehemaligen DDR vorausging.

Der renommierte Dokumentarfilmer, der in seinen 30 NDR-Jahren unter anderem „Emden geht nach USA“ und „Rheinhausen 88“ drehte und jetzt auch daraus zitiert, läßt nur das Material sprechen. Allein von Kameramann Frank Groth begleitet, lieh Wildenhahn die 24 Stunden Filmmaterial den Streikenden der „Brandenburger Elektro Stahlwerke“ selber. Und so ist, wer „23 Tage im Mai“ zuschaut, mitten drin und sieht: Es gibt Dinge, die kann den Streikenden keiner nehmen – nicht der Unternehmerverband und die neuen Mailänder Konzernherren, die sich schon seit zwei Jahren eine goldene Nase verdienen, „sooo lang, daß sie vorneüber kippen“. Auch die Treuhand nicht, die dem Riva- Konzern „ein riesiges Areal, auf dem rein zufällig ein gutgehendes Stahlwerk steht“, zu einem Spottpreis überließ und noch nicht einmal das Salär dafür eintrieb. Und erst recht die Werksleiter nicht, die schon früher die Werksleiter waren, damals gegen die Kapitalisten im Westen den Mund nicht voll genug nehmen konnten, und jetzt, in der Stunde der Wahrheit, den Arbeitern als Handlanger des Kapitals in den Rücken fallen, indem sie den Streik mit allen Mitteln zu brechen suchen.

Was weder die Treuhand noch die Werksleitung den Streikenden nehmen konnten, ist das neue Gefühl der Solidarität. Im Streik und im Film teilte sie der westfälische Rentner Emil Plump mit den Brandenburger Stahlarbeitern. „Wenn sie mich holen, komme ich“, ist die Devise des „Gewerkschaftszigeuners“. Er war es, der Wildenhahn zum Filmen gerufen hat. Als alles vorbei ist, sagt der kampferfahrene Emil, einst Schweißer auf Montage in aller Welt, Betriebsratsvorsitzender, IG-Metall-Sekretär und Gewerkschaftslehrer: „Jetzt wird die Wehmut kommen. Aber diesen Zustand der Wärme müssen wir uns erhalten.“ Ulla Küspert

Sonntag: 23 Uhr, N3

Montag: 22.30 Uhr, ORB

Dienstag: 23.35 Uhr, Südwest 3

Weitere Sendetermine: 24. Januar, 23.00 Uhr, West 3; 3. Februar: 22.45 Uhr, SFB; Anfang Februar: 23.00 Uhr, MDR und BR