Frische Krise gefällig?

Krisen- und Kriegsberichterstattung im Radio / Hörfunkgespräche 1993 des Adolf-Grimme-Instituts und der Evangelischen Publizistik  ■ Von Markus Dufner

Wer kennt sie nicht, die Jingles der Nachrichtenmagazine, die spannende 30-Sekunden-O-Ton- Berichte atemloser KorrespondentInnen verheißen, die Überleitungen, mit denen ModeratorInnen von Mittagsmagazinen oder Auslandsjournalen den nächsten Beitrag ankündigen: „Schauen wir mal nach...“ – „Wir schalten jetzt um zu unserem Korrespondenten nach...“ Manchmal erwarten wir als Radio- und TV-KonsumentIn geradezu die Frage: Was darf's denn heute sein? Dann greift der Moderator in ein Fach seines medialen Gemischtwarenladens und präsentiert uns einen der vielen brandaktuellen Krisenherde. Vernichtungslager in Bosnien oder Massaker in Burundi?

Wo immer geschossen wird, die Kriegsberichterstatter – allen voran die von CNN und BBC – sind vor Ort – so lange, bis das Interesse wieder erlahmt. 50 Krisen- und Kriegsregionen gibt es zur Zeit weltweit, so eine Erhebung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung. Die Hintergründe und Zusammenhänge der Konflikte bleiben aber in der Berichterstattung oft im dunkeln.

In der vom Adolf-Grimme-Institut und Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in zweijährigem Turnus veranstalteten Reihe „Hörfunkgespräche“ ging es jetzt um Krisen- und Kriegsberichterstattung im Hörfunk. Bei der Insider-Veranstaltung in Frankfurt waren die öffentlich-rechtlichen HörfunkmacherInnen weitgehend unter sich. Nichtsdestotrotz förderte die community von (ehemaligen) ARD- Auslandskorrespondenten und RedakteurInnen interessante Erfahrungsberichte aus Krisenregionen in Verbindung mit teilweise selbstkritischer Analyse der eigenen Arbeit zutage.

„Spätestens seit dem Golfkrieg wissen wir überdeutlich, wie und inwieweit Kriegsberichterstattung – gelenkt und manipuliert von den Interessen der kriegführenden Parteien – beeinflußt werden kann“, sagte GEP-Direktor Hans Norbert Janowski. Die Fülle an Informationen über Krisen, Konflikte und Kriege kann kaum noch psychisch verarbeitet werden, so daß „der von den Problemen des globalen Dorfes und auch vom unübersichtlich gewordenen Pluralismus seiner näheren Umgebung genervte Mitteleuropäer sich mit Ohnmachtsgefühlen auf sein kleines Milieu zurückzieht“. Kurz: Der Radiohörer wechselt auf ein Programm, das seine unmmittelbaren Interessen mehr befriedigt.

„Andere Vermittlungsformen“ im Hörfunk forderte der ehemalige Ostasien-Korrespondent und jetzige Programmdirektor von Radio Bremen, Hermann Vinke. Statt Verlautbarungsjournalismus nach dem Prinzip „Kinkel sagt zu Moskau, Kinkel sagt zu Somalia“ wünsche er sich „ein Radio, das die Menschen bewegt“.

Die Anforderung an einen verantwortungsbewußten Journalismus sei, so epd-Referent Volker Lilienthal, die Krise zum Thema zu machen, noch bevor sie zum Krieg werde – besser noch den Kern eines künftigen Konflikts zu entdecken, bevor er eskaliere. Zu vermeiden seien „schnellschlüssige und kurzatmige Reaktionen auf das Allerneueste“. Als eines von mehreren Negativbeispielen nannte Lilienthal die Berichterstattung in WDR 2 über die Niederschlagung des Putschversuchs gegen Jelzin. Gefehlt hätten Hintergrundbetrachtungen, Analysen und kritische Distanz – normalerweise eine Stärke der öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramme. Hermann Vinke warnte davor, die Krisenberichterstattung selbst zum Teil der Krise werden zu lassen. Aufgabe des Hörfunks sei es, Ordnung in das Durcheinander in den Köpfen der Menschen zu bringen. Das gehe aber nicht ohne militärisch- technisches Wissen, betonte der frühere Südwestfunk-Auslandskorrespondent Willi Steul.

Einig war man sich über eine Reihe struktureller Mängel im öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Mit dem „phantastischen ARD-Korrespondentennetz“, so der Ostafrika-Korrespondent Michael Frantzke (WDR), ließe sich mehr bewerkstelligen, wenn „in der Heimat“ besser koordiniert würde. Schnelligkeit habe besorgniserregend oft Vorrang vor Qualität, mußte die HR-Redakteurin Sybille von Foekersamb zugeben. Die Überschüttung mit Schreckensmeldungen in immer kürzeren Abständen, gepaart mit netter Aufmachung, verändere die Wirklichkeit. „Gleichzeitig stehe ich aber unter dem Druck, daß ich die Highlights haben muß.“ Neben den ARD-Tagesthemen, dem Spiegel und Bild seien vor allem die Agenturen die „heimlichen Meinungsführer“. Daß die besser informiert sind als der Korrespondent vor Ort, bezweifelte allerdings Ulrich Encke vom BR. Somalia, so Franthke, sei erst zum Thema geworden, nachdem es vom Fernsehen entdeckt worden sei. Vergeblich habe er versucht, schon vor Ausbruch des „heißen Konflikts“ auf die Entwicklung der Krise aufmerksam zu machen.

Strukturdebatten dieser Art brauche der Privatrundfunk nicht zu führen, meinte Radio-ffn- Redakteur Peter Welfers. Die Privaten bedienen sich überwiegend der freelancer, jener freien Journalisten, die bei hohem Risiko für hohe Prämien aus Krisengebieten berichten. Ohnehin existiere die „Meinungsträgerschaft des Hörfunks“ nicht mehr, zog Welfers ein realistisches Fazit: „Es sind die Bilder, die zählen.“