Sashimi ohne chinesisches Rundkorn

■ Reisimport treibt Japans Wirtschaftsreformer in die Ecke

Tokio (taz) – In einem kleinen Bio-Restaurant inmitten des Tokioter Stadtchaos ist ein Schild in englischer Schrift für ausländischen Gäste angebracht. Höflich wird dort zunächst auf die eigenständige kulinarische Tradition in Japan hingewiesen, der sich die Alternativküche des Hauses verpflichtet fühlt. Allerdings lassen die Bioköche nicht unerwähnt: „Nur japanische Zutaten und japanischer Reis eignen sich für unsere Gerichte.“ Nicht einmal die Alternativen, obwohl sonst stets für die Solidarität mit China und Südostasien engagiert, können sich vorstellen, ihren Sashimi mit chinesischem Rundkorn oder thailändischem Langkorn zu genießen. Was anderes als Chaos konnte die Regierung also erwarten, als ihr Sprecher die Öffnung des bisher hermetisch abgeriegelten japanischen Reismarkts versprach?

Aus dem edlen Vorhaben wurde nichts. Statt endlich Klartext bezüglich der Gespräche über ein internationales Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) zu reden, beschloß der japanische Premierminister Morihiro Hosokawa gerstern nur, seinen Außenminister zur letzten Gatt-Runde nach Genf zu entsenden. Davon erhofft er sich zumindest einen Zeitgewinn. Zum ersten Mal während seiner dreimonatigen Amtszeit muß Hosokawa erfahren, was es bedeutet, wenn in Japan ein Konsens zerbricht, die Regierung führungslos ist und die Leute auf die Straße gehen. Am Freitag abend wußte man in Tokio nicht einmal, ob die Sondersitzung des Kabinetts, die für Samstag morgen einberufen war, tatsächlich stattfinden würde. Währenddessen stellte die oppositionelle Liberaldemokratische Partei (LDP) einen Mißtrauensantrag in Aussicht. Wichtiger noch: aus der sozialdemokratischen Partei, der wichtigsten Gruppierung innerhalb der Acht-Parteien-Koalition, kamen Rufe nach dem Regierungsaustritt der roten Minister. Selbst wenn sich der Koalitionsstreit bis zum letzten Termin der Gatt-Runde wieder in Wohlgefallen aufgelöst haben wird, wie die politischen Beobachter glauben, sprang doch die Kopflosigkeit der Regierung allen ins Auge. Natürlich hatten die Koalitionspartner noch im Sommer versprochen, am heiligen Reisimportverbot nichts zu ändern. Welcher Bauer hätte sie sonst gewählt?

Um so größerer Schaden droht nun für das Ansehen in der Bevölkerung, von der gerade für die jetzige Regierung viel abhängt. Für die Koalition, die das gesamte politische Spektrum des Landes umfaßt, ist die Popularität ihres Premierministers und ihrer angekündigten Reformen bisher der einzige Kit. Doch wie geht es weiter, wenn schon in der Reisfrage alle Stricke zu reißen drohen?

Auf dem Spiel steht nicht nur ein ehrgeiziges politisches Reformprogramm, das nach der ersten Verabschiedung nun in der zweiten Parlamentskammer unter Zeitdruck gerät. Noch mehr bedroht sind die geplanten Deregulierungsmaßnahmen. Überall, wo bürokratische Vorschriften bisher den Warenaustausch regeln, wollen die Gesetzgeber durch Verfahrenserleichterungen und Paragraphenabbau den Importfluß ausländischer Güter beschleunigen. Doch immer ist, wie beim Reisimportverbot, eine bislang geschützte Lobby von den neuen Maßnahmen bedroht. Wenn sich dabei für jede Lobby eine Regierungspartei finden lassen sollte, welche die Koalition auf die Probe stellt, dürfte der japanische Reformelan bald nachlassen.

Leidtragende wären einmal mehr die Bürger. Im Wirbel ist eine Umfrage des Fernsehsenders NHK fast untergangen, wonach annähernd zwei Drittel der Japaner eine Öffnung des Reismarktes für unausweichlich halten. Die Vernunft der Bürger erscheint also weit ausgeprägter als die ihrer Politiker. Dabei käme es kaum einem Japaner in den Sinn, nur an den eigenen Vorteil beim Einkauf des billigeren Importreises zu denken. Statt dessen ist den meisten sehr wohl bewußt, daß ihr Arbeitsplatz, etwa in der Automobilindustrie, von Japans Exporten abhängt. Ganz unabhängig davon haben viele Japaner in ihrem Leben sicherlich noch kein einziges Korn ausländischen Reises gegessen.

An dieser Tatsache aber entzündete sich bislang der ideologische Geist japanischer Politiker. Kein anderes Thema war besser geeignet, Kultur und Nation in ausgrenzender Harmonie zu zeichnen – das galt sowohl für linke Sozialdemokraten wie für konservative Liberaldemokraten, die gestern erneut unheimliche Allianzen schmiedeten. Georg Blume