Wer wagt den Aufstand?

Unionsregierung ohne Kohl – in der CDU trotz trüber Wahlaussichten noch nicht vorstellbar  ■ Aus Bonn Hans Monath

Der Mann gehört zu jenen jungen CDU-Parlamentariern, die Helmut Kohl spätestens nach der Niedersachsen-Wahl im März stürzen wollen. So steht es wenigstens in einer bekannten Wochenzeitung. Aber der Abgeordnete sitzt ganz entspannt in seinem Büro mit Blick auf den Rhein und wundert sich über den Bericht, dessen Autor angeblich nicht mit ihm gesprochen hat. „Er macht viele Fehler“, sagt er über den Kanzler seiner Partei, „aber es gibt keine Alternative.“

Wo sind sie in Bonn, die jungen Bündnispartner der frustrierten CDU-Reformer, der jahrelang gedeckelten Kohl-Gegner, die nun endlich den Aufstand proben und der Herrschaft des Aussitzers ein Ende machen wollen, wie seit dem Heitmann-Fiasko und der Kommunalwahl in Brandenburg immer öfter zu lesen ist?

Nach den Wahlprognosen zu urteilen, wird die CDU im Herbst 1994 allenfalls Juniorpartner einer Großen Koalition werden. Wie wollen da die jungen CDU-Politiker der Partei wieder ein eigenständiges Profil geben, die längst zum Kanzlerwahlverein verkommen ist, die aber auch in der Ära nach Kohl noch funktionieren soll? Welche Köpfe, welche Programmpunkte will die Partei dann vorstellen?

Die Frage scheint den angeblichen Putschisten nicht so dringend, daß sie dadurch um den Schlaf gebracht würden. Die gegenwärtigen Planspiele in der Presse halten auch jüngere Abgeordnete für unrealistisch. So gilt auch in der jüngst ausgerufenen öffentlichen Aufregung, was die Berliner Sozialwissenschaftlerin Ute Schmidt im Oktober feststellte: „Ein Generationenwechsel in der CDU-Führung ist noch nicht in Sicht. Es ist eine Übergangszeit: Niemand weiß, wer und was nach Kohl kommen soll.“

Die von Kohl vor Jahren entmachteten Reformer, die jungen Abgeordneten („Junge Gruppe“) und der Parteinachwuchs bilden keinen geschlossenen Block. Aber die Sorge eint sie, daß die CDU in bestimmten Wählerschichten nicht mehr ankommt und ihren Charakter als Volkspartei längst aufgegeben hat.

In der Frauenfrage wirft Heiner Geißler der eigenen Partei gar eine Rückentwicklung vor: Sie kümmere sich nicht um Gleichberechtigung. Die Junge Gruppe fordert mehr Umweltbewußtsein in der Partei, sie solle Antworten auf die Pluralisierung der Lebensstile und auf die Auflösung der Familienstrukturen erarbeiten.

Aber daneben gibt es Themen, zu denen Kohl in den Augen seiner jungen Kritiker eine fortschrittlichere Haltung einnimmt als Konkurrenten und mögliche Nachfolger. Im Spektrum der Union ist Kohl einer der entschiedensten Europäer – auch wenn er den Konflikt mit Stoiber nicht ausgetragen hat. An Fraktionschef Wolfgang Schäuble, der als Nachfolger favorisiert wird, gefallen den Jungen die nationalen Töne nicht. „Viele warnen“, so sagt ein Nachwuchspolitiker, „die Frage der Nachfolge zu früh zu entscheiden, denn vielleicht ist die Alternative zu einem späteren Zeitpunkt besser.“

Für absurd halten einzelne Abgeordnete die Vorstellung, Kohl- Kritiker Kurt Biedenkopf könnte Rita Süssmuth als Bundespräsidentin vorschlagen, um Helmut Kohl zu schwächen – für die ausgewiesen liberale Bundestagspräsidentin fände sich in CDU und CSU nie und nimmer eine Mehrheit. Und eine „offene Feldschlacht“ um den Kanzler würde in der Fraktion keine Gruppe wagen.

Die Diskussion um die Kanzlerdämmerung bringt den parteiinternen Kritikern allerdings einen strategischen Vorteil. Die Krise zwinge den bislang gegen jede Kritik immunisierten Kanzler dazu, auf ihre Warnungen und Forderungen zu reagieren.

Weil es, wie einer formuliert, „objektiv keine Alternativen zu Kohl“ gibt, ist ein anderes Ziel ausgegeben: Nicht einen anderen als Kohl als Kanzler wünschen sie sich, sondern einen anderen Kohl als Kanzler.