Journalisten sind zu Nomaden geworden

■ Der algerische Journalist Karim Ait-Oumeziane, Redakteur bei der französischsprachigen Zeitung „El Watan“, über den Terror islamischer Fundamentalisten gegen Journalisten

Seit die Militärs putschten, um einen Wahlsieg islamischer Fundamentalisten zu verhindern, wurden in Algerien acht Journalisten ermordet. Auch auf Karim Ait-Oumeziane war ein Attentat geplant, das durch Zufall aufgedeckt wurde.

taz: Gehen die Attentate auf Journalisten tatsächlich alle auf das Konto islamischer Fundamentalisten, oder entstammen die Täter vielleicht nicht Kreisen einer politmilitärisch-industriellen Mafia, die wohl auch den Mord an Präsident Boudiaf im vergangenen Jahr zu verantworten hat?

Karim Ait-Oumeziane: Daß die materiellen Täter Islamisten sind, steht fest. Man kann aber in einigen Fällen nicht ausschließen, daß gewisse mafiöse Clans des alten Systems islamistische Gruppen manipulieren und sie benutzen. Es mag Fälle von bestelltem Mord geben. Nachgewiesen ist aber keiner.

Was bedeutet der Terror für den journalistischen Alltag?

Die meisten Journalisten gehen nicht mehr nach Hause. Viele haben seit Monaten schon ihre Wohnung nicht mehr gesehen. Wir sind zu Nomaden geworden. Wir gewöhnen uns alle Regelmäßigkeiten ab. Einmal gehe ich um sieben Uhr zur Arbeit, ein anderes Mal um zehn Uhr. Wir gehen nicht mehr zu Fuß zur Arbeit.

Wurden Sie bedroht?

Ja. Deshalb bin ich auch vorübergehend ins Ausland ausgewichen. Anfang November kam mitten in der Nacht die Polizei in meine Wohnung, um mich zu warnen. Bei einer Schießerei war ein Islamist verletzt worden, und man hatte bei ihm Unterlagen gefunden über die Wege, die ich zu nehmen pflege, über die Zeiten, wann ich zur Arbeit erscheine. Ich bin noch in derselben Nacht abgehauen.

Hat der Terror bereits Erfolge gezeitigt? Werden gewisse Nachrichten unterdrückt, Kommentare vorsichtiger formuliert?

Eher im Gegenteil. Die Journalisten tun sich zusammen und versuchen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

Und die Zensur? Es wurde zeitweilig verboten, über Attentate, Tote und Verletzte zu berichten.

Das Verbot, über sicherheitsrelevante Themen zu publizieren, wurde wieder aufgehoben. Wir brauchen die Texte nicht mehr vorzulegen. Und das Innenministerium hat sogar eine Pressestelle eingerichtet, die uns regelmäßig über militärische Auseinandersetzungen zwischen Armee und Untergrund informiert. Was sie verschweigt, wissen wir natürlich in der Regel nicht.

Können Sie auch über Korruption im Machtapparat berichten?

Ja, wir sprechen darüber. Der Druck auf die Presse ist nicht so direkt. Das läuft dann eher über Prozesse wegen Verleumdung. Im übrigen hat Algerien die freieste Presse im arabischen Raum.

Gibt es denn Zeitungen oder Zeitschriften, die offen die Positionen der verbotenen „Islamischen Heilsfront“ (FIS) vertreten?

Es gibt Zeitungen, die für einen Dialog mit der FIS eintreten.

Das kann man ja aus guten Gründen, ohne die Positionen des FIS zu teilen ...

Ja, aber es gab dann auch eine Zeitung, die der FIS schon sehr nahestand. Sie wurde verboten. Und dann gibt es Organe, die des FLN, der Partei, die 30 Jahre lang das Land allein regiert hat und die aus ihren Sympathien für die FIS keinen Hehl machen.

Ihre Zeitung „El Watan“ ist ein unabhängiges Blatt. Fordert sie den Dialog mit der FIS?

Dialog mit der FIS?! Schön und gut. Aber mit wem dort? Wer kann für die FIS sprechen? Und spricht der dann auch für die bewaffneten Gruppen? Wird der FIS einen Dialog nicht nur als taktisches Mittel einsetzen? Es geht ihr ja immer darum, eine islamistische Republik zu errichten. Die Islamisten sind eine Gefahr für die Freiheit.

Gibt es nicht eine gemäßigte Strömung in der FIS, mit der das Regime den Dialog suchen muß?

Sie meinen, gemäßigte Terroristen, die ein bißchen weniger als andere töten?

Finden die Terroristen denn bei einer politisch und wirtschaftlich frustrierten Bevölkerung nicht doch eine gewisse Unterstützung?

Es gibt natürlich in den Hochburgen der FIS schon eine gewisse Basis, Leute, die den terroristischen Gruppen, die sich ja oft von FIS abgekoppelt haben, zuarbeiten. Aber im allgemeinen lehnt die Bevölkerung die Gewalt ab. Die Leute trauen sich nicht mehr raus. Sie fühlen sich als Gefangene dieser Auseinandersetzung zwischen dem herrschenden Regime und den Islamisten. Sie lassen sich auch nicht gegen den Terrorismus mobilisieren, weil sie befürchten, daß das Regime das als Unterstützung werten könnte und dann noch länger an der Macht bleiben will. Interview: Thomas Schmid