Die Qualle an die Wand nageln

■ Statt Partei-Mitglieder segnen Kooperationsvertrag ab / Heftige Kritik am Fraktionszwang / Eine Abgeordnete denkt an Austritt   Von Sannah Koch

Jetzt kann er endlich wieder ruhig schlafen. Markus Wegner, Fraktionschef der Statt Partei, mußte gestern auf der Mitgliederversammlung zwar noch einige Adrenalinstöße überstehen, doch am Ende akzeptierte die Parteibasis mit großer Mehrheit sowohl den mit der SPD ausgehandelten Ko-operationsvertrag als auch die von ihm präsentierten Senatorenkandidaten.

Allerdings – hätten die Mitglieder anders abgestimmt, hätte dies an der Sachlage auch nichts geändert. Denn der Versammlung wurde schon zu Beginn unmißverständlich mitgeteilt, daß es sich bei der Abstimmung über das Vertragswerk allenfalls um ein „Meinungsbild“ handele, nicht aber um ein bindendes Votum.

Wie schon die erste Mitgliederversammlung bot auch die gestrige Sitzung im Souterrain des Eimsbüttler Hotels „Norge“ ein widersprüchliches Bild. Zwar beklatschte die Mehrheit der Mitglieder frenetisch jede auch noch so inhaltsleere Phrase ihres Gründervaters Wegner, doch hielt auch dieses Mal eine Gruppe von OpponentInnen nicht mit heftiger Kritik hinterm Berg zurück.

Weder die beschwichtigenden Worte ihres Parteichefs Dieter Brandes (“Ich fühle mich nicht über den Tisch gezogen; die SPD ist ein Partner, der unser Vertrauen verdient hat“) noch Wegners Rechtfertigungsrede („Wir haben gelernt, daß Politik nicht in klarem Durchsetzen , sondern in langsamer und zäher Verhandlungsarbeit besteht“) vermochten die Kritiker zu beruhigen.

Ihr Vorwurf: Die Kernpunkte der Statt Partei (vor allem bei der Verfassungs- und Verwaltungsreform) seien im Vergleich zu den knallhart festgezurrten SPD-Essentials „butterweich“ formuliert. Der Ex-CDU-Abgeordnete Jürgen Warmke: „Die Erfahrungen der FDP belegen doch, daß alles, was nicht festgeschrieben wurde, später auch nicht mehr umzusetzen ist.“ Der zynische Kommentar von Thomas Gottfried, Mitglied im Bezirk Mitte: „Versucht doch mal, später diese Qualle an die Wand zu nageln“.

Als besonders krasser Verstoß gegen die eigenen Parteigrundsätze wurde von den KritikerInnen jedoch der Passus gewertet, in dem sich die Delegation der Statt Partei vertraglich verpflichtet hatte, nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen – das verstoße gegen das verfassungsgemäße Recht auf freie Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten. Wegners Beschwichtigung, hier handele es sich nicht um Fraktionszwang, sondern um Fraktionsdisziplin, brachte ihm den Zwischenruf „Verarsch uns nicht!“ ein.

Wie tief die inneren Widersprüche in dieser Frage sind, machte die Bürgerschaftsabgeordnete Gundi Hauptmüller deutlich: „Ich kann mit diesem Konstrukt nicht leben. Hier wurde der Fraktionszwang durch einen Kooperationszwang ersetzt“, erklärte sie. Sie kämpfe noch mit sich, ob sie den Vertrag unterschreiben soll – auch wenn, wie Hauptmüller andeutete, aus der Fraktion bereits „indirekt Druck“ auf sie ausgeübt werde. Über eine Alternative denke sie bereits nach: Austritt aus der Fraktion und Weiterarbeit als fraktionslose Abgeordnete.

Obwohl bei der Schlußabstimmung 40 der rund 200 Mitglieder für Nachverhandlungen votierten, gab die Mehrheit schließlich doch bei nur 17 Gegenstimmen grünes Licht für die rotgraue Regierung. Offenbar teilte die Versammlung die Ansicht eines Mitglieds, das zuvor erklärt hatte: „Demokratie bedeutet, daß man sich auch unterordnen können muß.“