Im Zentrum eine Art Stillstand

■ Allégorie de la richesse – Barock und die Kunst der Gegenwart

Rund um Berlins zentrale Gedenkbaustätte an der Friedrichstraße beschnüffeln sich Kunst und Kapital fast ein wenig wie von Joseph Beuys propagiert. Alles bleibt behutsam und auratisch irgendwie nebeneinander bestehen. Vom ersten Stock oberhalb einer Escada- Boutique darf die Fotokünstlerin Gundula Schulze nach Einbruch der Dunkelheit ihr Experimentalvideo „Das weiche Fleisch kennt die Zeit noch nicht“ – kopflose Fische und weibliche Konterfeis in krassen Gegenschnitten – auf eine der Baubuden im Quartier 207 der langsam wachsenden Passagen projizieren, gegenüber hat Maaria Wirkkala mit starken Scheinwerfern die drei Brandmauern der Verwaltungsgebäude für Schauspiel und Musik beleuchtet. Wer stehenbleibt, staunt über die seltsame Dächerkonstellation oder stolpert über die unnütze Leiter, die an der kahlen Wand außerhalb der menschlichen Reichweite in die Höhe gehängt wurde.

Von der Kunstwissenschaftlerin Patricia Bisci in einem Vorlauf von zwei Jahren für die Stadtmitte konzipiert, durch die Stiftung Neue Kultur getragen und von den Investoren der FriedrichstadtPassagen maßgeblich, aber freundlich unterstützt, markiert die Gruppenausstellung „Allégorie de la richesse“ eine Art Stillstand im Zentrum. Dabei wird das im Barock angesiedelte, katastrophische Bewußtsein auf die aktuelle Situation von Unsicherheit und Angst angesichts der negativen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa übertragen und in Kunst verwandelt. Doch der vielschichtige Allegorie-Begriff – bei Benjamin im Bild der Ruine als Gestalt der Geschichte und ihres „unaufhaltsamen Verfalls“ gefaßt – wird hier sehr versöhnlich auf bloße Metaphern verkürzt: als Überblendungen von medialen Kräften, wie es Peter Bexte in seinem Katalogtext formuliert.

Die Bilder, Skulpturen und inszenierten Raumeingriffe geben sich vornehmlich als zweckmäßige Assoziationen zum Reichtum, der sich auf dem Areal zwischen Gendarmenmarkt und Gauck-Behörde doch endlich sedimentieren möge. Daniel Buren hat mit strengen Konzeptstreifen die Balustrade an der Kommode der Humboldt-Universität ebenso teilnahmslos verziert, wie Jacques Vieille mit Stahlgebinden drei verstreute Stapel Verschalungsholz auf der Baustelle geschmückt hat – alles im Vertrauen auf eine rein formale Auslegung der historischen Situation, quasi als ornamentales Beiwerk in Verlängerung einer ästhetisch sich gerierenden Normalität, die Europa doch schon längst abgegangen ist: Vom Krieg ist trotz des herangezogenen Jammertals des Barock nichts zu spüren. Statt dessen findet die „Ästhetik der Komplexität“ von Banalem und Erhabenem in einer entzauberten Welt, mit der sich Christine Buci-Glucksmann allgemein philosophisch Gewißheit über die zeitgenössische Apathie in der bildenden Kunst verschafft, erst in der Produktion solcher Werke statt: Noch der Eingriff von Svetlana Kopystiansky, umgestülpte Bücher sauber in die Mitte von Regalen in der Bibliothek für Rechtswissenschaften zu plazieren, folgt lediglich einer hermetischen Projektion auf den Ort. Bücher bleiben bei Büchern, eher romantisch als barock.

Allein Jean-Marc Bustamente gelingt es, über das Zusammenspiel von Ort und Geschichte den Unterschied zwischen künstlerischer Geste und vorgefundener Situation zu vermitteln, ohne damit deren Kluft einzudämmen. In unmittelbarer Nähe zu Kopystianskys bibliophiler Wandarbeit hat er zwei symmetrische Fensternischen mit Blattgold ausgekleidet und jeweils ein Rechteck aus Beton hineingehängt. Wie die beiden Seitenflügel eines Tryptichons hebt gerade die formale Geschlossenheit der Materialbilder ein in der Mitte gelegenes Türportal hervor. Dort wurde das Leben und Schaffen Lenins wie in einem bunten Kirchenfenster verarbeitet: der Revolutionär als Advokat und Arbeiter. Bei Bustamente wird nicht die Information über Geschichte, sondern deren Verdichtung zum Bild. Zumindest hierin steht die Kunst im Rahmen der ortsspezifischen Gegebenheiten der Allegorie sehr nahe. Harald Fricke

Bis 2.1. an folgenden Plätzen: FriedrichstadtPassagen, Friedrichstraße/Gendarmenmarkt, Kommode der Humboldt-Universität, Unter den Linden/Bebelplatz, Parochialkirche, Klosterstr.67, Mitte.