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: Mit Fuzzy Logik langsam in die Kurve

Mathematischen Aussagen wie „2 ist größer als 0“ oder „3 ist größer als 4“ läßt sich eindeutig ein Wahrheitswert „wahr“ oder „falsch“ zuordnen. Menschliches Wissen ist aber oft nicht mathematisch exakt formuliert: Die Aussage „wenn die Kurve scharf und die Geschwindigkeit des Autos hoch ist, muß man vor der Kurve abbremsen.“ wird wohl von den meisten Autofahrern als „wahr“ bezeichnet, sie ist aber im mathematischen Sinne ungenau: Wann ist eine Kurve scharf? Die Geschwindigkeit hoch? Berechnen wir in unserem Kopf Formeln, die den Zusammenhang zwischen Kurvenradius, Geschwindigkeit und Bremswirkung ausdrücken? Wohl kaum. Trotzdem können wir sicher Auto fahren – wenn wir es auch wollen. Kann ein Computer auch so programmiert werden, daß er „unscharfe“ Begriffe und Regeln verarbeiten kann?

Die Antwort lautet: Er kann, wenn wir bereit sind, von dem klassischen Dualismus „wahr“ = 1 und „falsch = 0 abzurücken und als Wahrheitswert einer Aussage eine Zahl zwischen 0 und 1 zuzulassen. Die Aussage „Das Glas ist voll.“ hätte dann für ein randvolles Glas den Wahrheitswert 1, für ein halbvolles 0,5 und für ein leeres 0. Wenn wir nun Schlußfolgerungen ziehen wollen, etwa mit Hilfe der Aussage „Ein volles Glas muß sehr vorsichtig getragen werden.“, läßt die klassische Logik keine Folgerung für ein nur zu 90 Prozent gefülltes Glas zu. Im Alltag folgern wir ohne weiter darüber nachzudenken, daß auch dieses Glas vorsichtig getragen werden muß.

Menschliches Wissen liegt in vielen Bereichen des täglichen Lebens derart „unscharf“ vor. Mit der Formalisierung unscharfer Begriffe und Regeln befaßt sich jetzt ein neues Teilgebiet der Logik, das in Anlehnung an den amerikanischen Sprachgebrauch Fuzzy Logik genannt wird.

Fuzzy Logik hat vor allem in der Steuerungs- und Regelungstechnik, aber auch beim Erkennen ungenauer Muster wie zum Beispiel handschriftlicher Aufzeichnungen zahlreiche praktische Anwendungen gefunden.

Wer sich genauer damit beschäftigen will, kann auf zwei neu erschienene Bücher zurückgreifen: Der US-Amerikaner Bart Kosko greift in „fuzzy logisch“ das Thema von der aussagenlogischen Seite her auf. Er bringt zahlreiche auch nichttechnische Beispiele; die Exkurse zum US- Wissenschaftsbetrieb, zur Geschichte der Philosophie, zu Japan und zum Buddhismus tragen allerdings nur sehr wenig zum Thema bei. Überdies ist der Autor von seinem Fachgebiet derart überzeugt, daß er keine anderen Ansätze mehr gelten läßt und meint, nebenbei Grundfragen der Ethik, die Frage nach Gott und die Frage nach der Funktionsweise des menschlichen Gehirns mit fuzzy logischen Methoden beantworten und erklären zu können.

Sehr viel vorsichtiger argumentiert der deutsche Autor Marcus Spies in dem Buch „Unsicheres Wissen“. Er benennt zunächst vier Bereiche, in denen menschliches Wissen, gemessen an den Exaktheitskriterien der Mathematik, unsicher ist:

1. Unscharfes Wissen

2. Wahrscheinlichkeitsschlüsse

3. Plausibles Schließen

4. Erkennen und Verstehen unvollständiger und verzerrter Muster.

In jedem Bereich werden die zugrunde liegenden Fragen und die verwendeten Methoden geschildert und gegeneinander abgegrenzt. In den Beispielen haben sich leider einige gravierende Fehler eingeschlichen, die das Verständnis erschweren, und mathematisch ungebildete LeserInnen müssen gelegentlich den Mut aufbringen, formelgespickte Seiten zu übergehen. Insgesamt wird deutlich, daß Fuzzy Logik und andere neue Ansätze im Bereich unsicheren Wissens erst am Anfang stehen. Spannend sind sie trotzdem. Ute Finckh

Bart Kosko: „fuzzy logisch – Eine neue Art des Denkens“. Carlsen Verlag, 1993, 352 Seiten, 39,90DM

Marcus Spies: „Unsicheres Wissen“. Spektrum Akademischer Verlag, 1993, 389 Seiten, 78DM