Die Viertagewoche im Bergbau

Gewerkschaft ist zu Lohnverzicht bereit / 10.000 Entlassungen könnten dadurch vermieden werden / Morgen beginnen Verhandlungen zwischen IG Bergbau und Ruhrkohle AG  ■ Aus Bochum Walter Jakobs

Nach der Einführung der Viertagewoche bei VW steht ein entsprechender Schritt bei der Essener Ruhrkohle AG unmittelbar bevor. Heute wird die Tarifberatungskommission der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) die endgültige Marschrichtung festlegen. Eine Mehrheit für das vom Gewerkschaftsvorstand vorgelegte Modell gilt als sicher. Ab Dienstag soll dann mit den Arbeitgebern verhandelt werden.

Von den rund 90.000 Arbeitsplätzen im Steinkohlebergbau an der Ruhr müssen angesichts der aktuellen Kohle-und Stahlkrise 1994 und 1995 etwa 22.000 abgebaut werden. Mit den im Bergbau üblichen sozialverträglichen Anpassungsinstrumenten – Frühverrentungen und Qualifizierungsmaßnahmen – ist diese Schrumpfung nicht zu schaffen. Wenn nicht sofort etwas geschieht, droht nach Auffassung der IGBE deshalb etwa 10.000 Bergleuten der Absturz in die Arbeitslosigkeit.

Verhindern läßt sich die Entwicklung nach den Worten des IGBE-Vorsitzenden Hans Berger nur, wenn es zu einem „Solidarausgleich“ zwischen allen Bergbaubeschäftigten kommt. Doch das gehe „nur über den eigenen Verzicht“. Wenn die Anzeichen aus den Bergwerken nicht trügen, dann sind inzwischen auch die zunächst skeptischen Kumpel in ihrer großen Mehrheit bereit, diese „Kröte“ zu schlucken. Um den Arbeitsplatzabbau in den nächsten beiden Jahren ohne Entlassungen gestalten zu können, müssen alle Beteiligten pro Jahr etwa 20 Tage weniger arbeiten. Diese 20 zusätzlichen Freischichten würden den Bruttolohn insgesamt um etwa zehn Prozent reduzieren. Das vorhandene Einkommen soll aber nur um fünf Prozent schrumpfen.

Schon während der letzten 18 Monate tauschten die Bergleute Freischichten gegen Lohn ein und vermieden damit Entlassungen. Statt einer dreiprozentigen Lohnerhöhung wurden bis zum 1.9.1994 sechs Freischichten vereinbart. Ab September 94, so sieht es der alte Tarifvertrag vor, sollen die sechs Freischichten gestrichen und drei Prozent mehr Lohn ausgezahlt werden. Die IGBE schlägt nun vor, auf diese Umwandlung zu verzichten. Darüber hinaus sollen mögliche Einkommenszuwächse aus der neuen Tarifrunde ebenfalls nicht ausgezahlt, sondern in zusätzliche Freischichten umgewandelt werden. Eine potentielle Lohnerhöhung von zwei Prozent würde also zu vier zusätzlichen freien Tagen führen. Die Hälfte der erwogenen 20 Freischichten würde also durch Verzicht auf Einkommenszuwächse finanziert.

Das aktuelle Einkommen der Bergleute müßte nach dieser Kalkulation bei einer für das Unternehmen kostenneutralen Finanzierung nur um fünf Prozent sinken. Geht es nach den Vorstellungen der IGBE, dann wird dieser Einkommensverzicht zusätzlich sozial gestaffelt. Wenn die Beschäftigungsprobleme gelöst sind, soll die Arbeitszeitverkürzung schrittweise wieder in Einkommen zurückverwandelt werden.

Die Wochenarbeitszeit beträgt im Bergbau derzeit 37,2 Stunden. 20 zusätzliche freie Tage im Jahr reduzieren die wöchentliche Arbeitszeit auf 33,7 Stunden. Monatlich würde sich diese zusätzliche Freizeit bei der Masse der Bergleute auf dem Lohnzettel mit etwa 200 Mark Minus niederschlagen – jährlich mit einem Minus von rund 2.500 Mark. Nach dem VW- Abschluß reduziert sich das Bruttojahreseinkommen eines VW- Bandarbeiters um 6.220 Mark. Dafür fällt der Freizeitgewinn entsprechend größer aus. Denn in Wolfsburg muß künftig nur noch 28,8 Wochenstunden gearbeitet werden.