Zum Haareschneiden über den Atlantik?

„General Agreement to Talk and Talk“ – so bezeichnen Spötter gerne die seit sieben Jahren andauernden und beständig scheiternden Verhandlungen um das angestrebte Welthandelsabkommen. Um was geht's eigentlich bei Gatt?

Am Mittwoch soll das Abkommen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) unter Dach und Fach sein. Aber so kurz vor Toresschluß haben die großen Handelsnationen nicht nur keine Einigung bei den Agrarexporten erzielt. Sie zanken sich sogar mit zunehmender Heftigkeit um weitere Handelsbereiche: um den Zugang zu den Finanzmärkten, um Subventionen für die Luftfahrt, um die Filmförderung und die Liberalisierung der Hochseeschiffahrt.

Die inzwischen zum „General Agreement to Talk and Talk“ mutierte achte Gatt-Runde hatte jedoch viel umfassendere Ziele, als es der Dauerstreit zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) über Agrarexporte vermuten läßt. Neben dem Agrarhandel waren insbesondere der freie Handel mit Dienstleistungen und die internationale Absicherung „geistiger Urheberrechte“, der freie Zugang zu nationalen Märkten und die Schaffung einer internationalen Handelsorganisation zentrale Fragen der 1986 in Uruguay begonnenen Verhandlungen.

Die Förderung des freien Welthandels durch den Abbau der Zollschranken ist die vordringlichste Aufgabe des Gatt seit der Gründung 1947. Seither wurden die Zölle von fast 40 auf derzeit durchschnittlich 4,7 Prozent gesenkt. Wird die jetzige Uruguay-Runde erfolgreich abgeschlossen, werden es nurmehr drei Prozent sein. Der Erfolg basiert auf einem ehernen Grundsatz des Gatt: der Meistbegünstigungsklausel. Danach muß jedes der derzeit 112 Gatt-Mitgliedsländer jede Zollsenkung, den es durch bilaterale Verhandlungen einem Land einräumt, automatisch auch allen anderen gewähren.

Doch täuschen die inzwischen niedrigen Zölle darüber hinweg, daß der Welthandel in den letzten Jahren keineswegs freier geworden ist. Seit die Industrieländer in der Wirtschaftskrise stecken, schützen sie ihre inländischen Produzenten zunehmend mit Methoden jenseits von Zollmauern: mit „freiwilligen“ Exportbeschränkungen, zu denen sich etwa japanische Autohersteller auf Druck der USA und der EU bereit fanden; mit technischen Normen, die so festgelegt sind, daß ausländische Produkte nicht zugelassen werden; oder mit Subventionen für heimische Produkte, die den internationalen Wettbewerb verzerren.

Der Landwirtschaftssektor war bislang die größte Ausnahme im Gatt-Regelwerk. Zum einen ist allen Staaten die Sicherstellung der Ernährung wichtig, zum anderen ist der Agrarbereich schon aus wahltaktischen Gründen ein Hätschelkind der nationalen Regierungen. Die Dienstleistungen waren bislang aus dem Gatt ausgenommen, weil sich zu den Gründungszeiten des Gatt wohl kaum jemand vorstellen konnte, daß Dienstleistungen in nennenswertem Umfang grenzüberschreitend angeboten würden – wer fährt schon zum Haareschneiden über den Atlantik? Doch mit der Ausweitung der Telekommunikation und der Computernetze machen vor allem Banken und Versicherungen ihre Geschäfte zunehmend weltweit. Jährlich werden international Dienstleistungen im Wert von 900 Milliarden Dollar (gut 1,5 Billionen Mark) gehandelt; das ist schon fast ein Viertel des internationalen Warenhandels.

Es ist kein Zufall, daß gerade die USA darauf gedrängt haben, Landwirtschaft und Dienstleistungen in der achten Gatt-Runde erstmals zu den zentralen Verhandlungspunkten zu machen. Die Schuld an ihrem gigantischen Handelsbilanzdefizit geben die USA nämlich gern dem Protektionismus der Europäer und Japaner, die vor allem ihre Agrarmärkte und den Dienstleistungssektor penibel abschotten; man denke an Japan, das keine Reis-Einfuhren zuläßt, während in der EU beispielsweise ausländische Versicherungen praktisch nicht Fuß fassen können. Als weltweit größter Exporteur von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Dienstleistungen hätten hier die USA die größten Vorteile von einer Liberalisierung. Ebenso großen Nutzen dürfte der stärkere internationale Schutz von Patenten und Copyright den Ländern bringen, die im Besitz solcher Rechte sind – also vorwiegend den Industrieländern, allen voran den USA.

Der offene Marktzugang ist ein weiteres Anliegen der Uruguay- Runde. So legt beispielsweise das sogenannte Multifaser-Abkommen Importquoten für Textilien fest, mit denen die Industrieländer Gatt-widrig ihre Textilindustrie gegen billigere Importe aus Entwicklungsländern schützen. Auch hier ist keine Einigung in Sicht. Geplant ist, das Multifaser-Abkommen in zehn Jahren auslaufen zu lassen. Die USA möchten die Schonfrist jedoch auf 15 Jahre verlängern, während Indien für eine Verkürzung auf fünf Jahre kämpft.

Den Marktzugang beschränken gerade die USA, die verbal so sehr für den freien Welthandel eintreten, besonders gerne. Zahlt eine ausländische Industrie sehr niedrige Löhne – oft der einzige Wettbewerbsvorteil, den Entwicklungsländer aufbieten können – und produziert auch noch unter niedrigen Umweltstandards, handelt es sich nach Auffassung der USA um Dumping. Und solche Waren werden nicht ins Land gelassen. Auch subventionierte ausländische Güter, etwa Stahl und Flugzeuge aus der EU, möchten die USA nicht einführen müssen. Solche Beschränkungen sind allerdings nicht immer zu verurteilen. Gerade im Umweltschutz können sie zu Verbesserungen führen, etwa wenn die USA sich weigern, Thunfisch aus solchen Ländern zu importieren, deren Fangmethoden den Schutz der Delphine nicht gewährleisten.

Das umfassendste Vorhaben der achten Gatt-Runde war die Schaffung einer Multinationalen Handelsorganisation (MTO), die, anders als Gatt, mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet sein soll; 1948 hatte man sich nicht auf die Einrichtung einer solchen Organisation nach dem Vorbild des IWF einigen können. Sehr wahrscheinlich ist es auch diesmal nicht, daß die Kontrahenten etwas von ihrer Macht an eine multinationale Organisation abgeben werden. Nicola Liebert