Bericht zur Lüge der Nation Von Mathias Bröckers

Einige Politiker, allen voran der Stoiber Edi, haben jetzt wieder verstärkt das Nationale in der Pupille – es ist Superwahljahr, und da gilt es halt, am trüben rechten Rand ein bißchen zu fischen. Brauchte man in Sachen Asyl noch dringend eine Lösung „auf europäischer Ebene“ und penetrierte die „gesamteuropäische“ Lösung bis zum Gehtnichtmehr, so muß eben jetzt das Nationale wieder herhalten – und dafür wird das gesamteuropäische Zentralismus- samt Brüssler Bürokraten-Monster an die Wand gemalt.

Was ist das eigentlich für ein Begriff, „deutsche Nation“, der dem dummdeutschen Skin ebenso das Äuglein glänzen läßt wie dem wertkonservativen Yuppie-Herrenreiter? Auf den ersten Blick scheint das noch ganz klar, doch ziehen wir Sprache und Folklore ab und lassen Heimat und D-Mark beiseite, was bleibt dann noch von Nation? Nichts als eine fixe Idee, ein Hirngespinst, ein Glaubenssystem. Noch 1814, auf dem Wiener Kongreß, wurde Preußen, die Wiege der Nation von 1870, als „slawisches Königreich“ geführt. Als Ersatz für ihren nachlassenden Glauben an Gott begannen die Menschen, Staaten und Völker zu mystifizieren.

Zuvor hatte Europa im Zeichen kosmopolitischer Ideen gestanden. Das vor 1.000 Jahren geschaffene Deutsche Reich Ottos des Großen, das später von der Nordsee bis Sizilien reichte, beherbergte eine Vielzahl von Völkern, denen nationale Regungen ziemlich abgingen. Weder forderten sie nach einem Krieg ihr „Selbstbestimmungsrecht“, noch empfanden sie es als besondere Tragödie, wenn die Sieger ihr Land aufteilten. Sie hielten sich an die logische Erkenntnis, daß die Grenze eines Staats dort verläuft, wo dessen Macht aufhört. Die Idee, daß auch noch etwas anderes bei der Grenzfestlegung eine Rolle spielen könnte, ist ein Kind der deutschen Aufklärung: Herder sprach vom „natürlichen Staat“ und verglich das „natürliche“ Volk mit einer Familie – wer jedoch zur „Familie“ zählen sollte, darüber verweigerte er die Auskunft. Fichte wollte die Grenzen einer Nation da gezogen sehen, wo ihr Sprachraum endet, und der irre Hegel war es schließlich, der die nationale Idee zur kriegstreibenden Theorie ausbaute. Ein Volk, so meinte er, begreift sich in dem Maße als Nation, wie seine Bürger auf eine gemeinsame ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken können.

Von da war es nur noch ein Schritt zur Staatstheorie eines Carl Schmitt und dem Nationalwahn des Dritten Reichs. Innerhalb von kaum 100 Jahren war aus der fixen Idee „deutsche Nation“ eine blutige Realtragödie geworden. Noch während der sich anschließenden Teilung lebte die Vorstellung einer „unnatürlichen“ Grenze fort, und seitdem soll zusammenwachsen, was „natürlich“ zusammengehört.

Als evolutionäre Zwischenstufe zwischen Lokalem und Globalem hat die Nationalidee ihren Zweck längst erfüllt – auch wenn dummdeutsche Politiker und Intellektuelle weiter auf diesem primitiven Niveau beharren. Statt die eigentliche nationale Frage zu stellen: Warum brauchen aufgeklärte Primatenstämme auch im 21. Jahrhundert noch schwarzrotgoldene Stoff-Fetzen, um sich zu organisieren? Und: Was unterscheidet diese symbolischen Rituale (Fahnen, Hymnen, Staatskulte) eigentlich vom Totemismus der Steinzeit?