■ Das Portrait
: József Antall

Manche stürzten oder wurden abgewählt, andere traten zurück, freiwillig oder unter Druck. Er jedoch war der einzige unter den ersten osteuropäischen Regierungschefs nach 1989, der seine gesamte Amtszeit hätte ausfüllen können.

Doch am Sonntag abend verstarb József Antall, der ungarische Ministerpräsident, im Alter von 62 Jahren in Budapest.

Daß er jener einzige hätte werden können, spricht für Ungarn. Wenn das Land als stabilstes in Osteuropa gilt, dann nicht zuletzt, weil das Ende der halbliberalen kommunistischen Diktatur mehr als anderswo ein schrittweiser Prozeß statt eines Ereignisses war. Doch es spricht auch für Antall, daß er jener einzige hätte sein können. Ungarn barg und birgt genug innenpolitische Konflikte, die zum Sturz der Regierung, zu Neuwahlen, zu sozialen Unruhen hätten führen können. Antall ist anzurechnen, daß er – freilich nicht er allein – das Land letztlich auf einen zivilen, demokratischen, stabilen Weg geführt hat.

Der verstorbene ungarische Ministerpräsident Foto: rtr

Und doch ist sein Tod kein unglücklicher Zufall, sondern voller Symbolik. Antall, der promovierte Historiker, dachte europäisch und fühlte ungarisch. Er stammte aus einer Politikerfamilie und wurde von seinem Vater, bis 1947 ein führendes Mitglied der konservativ-nationalen Kleinlandwirtepartei, entscheidend beeinflußt. Antall war jener Schule verhaftet, welche die ungarische Geschichte dieses Jahrhunderts – die Aufteilung des Landes, die Allianz mit Hitler, ihre katastrophalen Folgen und die kommunistische Herrschaft – als Ansammlung unglücklicher, über Ungarn hereingebrochener Wechselfälle begreift.

In seiner Partei, dem Ungarischen Demokratischen Forum, versuchte er zusammenzuhalten, was nicht zusammenzuhalten war. Er machte immer wieder Zugeständnisse gegenüber extremistischen, „ungarisch-nationalen“ Kräften und riß das Ruder dann doch in Richtung Europa herum.

Vielleicht konnte er nicht verstehen, daß in den Zeiten des Überganges zu einer pluralistischen Gesellschaft vieles aus- und durcheinanderläuft. Zumindest stand seine zentristische Politik dem oft hilflos und unschlüssig gegenüber. Man könnte auch sagen: Er hat gegen die Regel, nach der er nicht spielen wollte, verloren. Keno Verseck