Ungarn trauert um József Antall

Innenminister Boross mit der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten beauftragt / Regierungspartei MDF berät über Kandidaten / Zusammenarbeit mit Csurka abgestritten  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Der Tod des ungarischen Ministerpräsidenten József Antall am Sonntag nachmittag hat in Ungarn landesweite Bestürzung und Trauer ausgelöst. Den Tag über waren noch mehrere Gottesdienste für die Besserung von Antalls Gesundheitszustand abgehalten worden. Doch um 6 Uhr läuteten im Land die Kirchenglocken; am Abend besuchten Tausende von Menschen Trauermessen. Auf dem Platz vor dem Budapester Parlament versammelten sich bis spät in die Nacht ebenfalls Tausende von Menschen und zündeten Kerzen für den verstorbenen Regierungschef an.

Für die Partei des Ministerpräsidenten, das Ungarische Demokratische Forum (MDF), war der Tod Antalls offenbar nicht überraschend gekommen. Seit Juni, so MDF-Geschäftsführer Sándor Lezsák, sei bekannt gewesen, wie ernst der Zustand des Regierungschefs war. Man habe gewußt, wie riskant die einmonatige Behandlung in Köln, zu der sich der schwer krebskranke Antall Anfang Oktober begeben hatte, sein würde. Doch habe die Regierung und MDF-Führung bis zum letzten Moment gehofft, daß Antall nur unter einer vorübergehenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes leide.

Der ungarische Staatspräsident Árpád Göncz hat Antalls vorübergehenden Stellvertreter, Innenminister Péter Boross, unterdessen damit beauftragt, einen neuen Ministerpräsidenten zur Wahl vorzuschlagen. Laut Verfassung steht dem Staatspräsidenten das Recht zu, den Kandidaten abzulehnen; falls er ihn jedoch akzeptiert, muß das Parlament ihn mit einfacher Mehrheit wählen.

Sitzungen der MDF

MDF-Landespräsidium, MDF- Fraktion und MDF-Regierungsmitglieder traten gestern zusammen, um über den Kandidaten zu beraten. Wann die Entscheidung der Öffentlichkeit mitgeteilt werden soll, war nicht zu erfahren. Als aussichtsreichste Kandidaten für die Nachfolge Antalls werden derzeit Péter Boross und Verteidigungsminister Lajos Für gehandelt, daneben fielen auch die Namen von Sándor Lezsák und Finanzminister Iván Szabó.

Im MDF wurden unterdessen alle Fragen nach einer zukünftigen Zusammenarbeit mit der rechtsextremen „Ungarischen Gerechtigkeits- und Lebenspartei“ (MIÉP) des Dramenschreibers/Politikers István Csurka als falsche Anschuldigungen zurückgewiesen. Lezsák bestritt, daß er in den letzten Monaten eine Annährung an Csurka betrieben oder eine Aussöhnung mit ihm gesucht habe.

Ausnahmslos würdigend äußerten sich auch Politiker der ungarischen Oppositionsparteien über den verstorbenen Regierungschef. Antall sei den demokratischen Institutionen und der europäischen Integration verpflichtet gewesen. Zwar wollte niemand direkt zu den derzeitigen Kräfteverhältnissen innerhalb des MDF Stellung nehmen. Doch drückten Oppositionspolitiker ihre Hoffnung aus, daß Ungarn seine bisherige Stabilität nicht verliere. Staatspräsident Göncz sagte in seiner Rede zum Tode Antalls, daß das Andenken Antalls geehrt werden sollte, der den Weg in Richtung Demokratie eingeschlagen habe – gleichgültig, für welche Partei man bei den Wahlen im Frühjahr stimmen wolle.